S - Spur Der Angst
telefonierten ein paar Minuten, während Jules ihren Tee trank und Agnes Dixon mit amüsanten Geschichten über den Kater aufwartete. Als sie auflegte, fühlte sich Jules ein wenig besser. Geerdet. Der heiße Tee hatte sie von innen gewärmt, und alle Bedenken, die sie wegen Diablos vorübergehender Unterbringung hatte, waren beiseitegewischt. Dem kleinen Verräter schien es auch ohne sie wunderbar zu gehen.
Jules packte sich dick ein, um vor der beißenden Kälte geschützt zu sein, dann machte sie sich auf, den Campus auf eigene Faust zu erkunden, wobei sie darauf vertraute, bei Tageslicht einigermaßen in Sicherheit zu sein. Als sie vor dem Stanton House im tiefen Schnee stand, versuchte sie, sich die Anordnung der Gebäude ins Gedächtnis zu rufen und welche Wege sie verbanden. Ein freigeschaufelter Pfad führte quer über den Campus, in einer Richtung an den Scheunen, Zwingern und Stallungen vorbei in die bewaldeten Berghänge, in der anderen am Ufer des Lake Superstition entlang. Diese Route, so beschloss sie, würde ihre tägliche Joggingstrecke werden, sobald sich das Wetter besserte. Wenn sie überhaupt so lange hierblieb.
Im Augenblick war es unmöglich zu laufen, der Boden war zu stark vereist, aber sie nahm an, dass sie in der Sporthalle trainieren konnte, wo es laut Broschüre eine große Auswahl an Fitnessgeräten gab.
Allerdings bedeutete das, dass sie Cooper Trent begegnen würde, doch langsam gewöhnte sie sich an den Gedanken, dass er ihr Verbündeter war und kein Gegenspieler. Der Liebeskummer, den sie seinetwegen erlitten hatte, war längst vergangen; sie beide mussten sich mit dem Hier und Jetzt auseinandersetzen.
Sie wollte nicht länger in Erinnerungen an jenen lang vergangenen Sommer schwelgen, in dem sie ihm das erste Mal begegnet war. Er hatte nach Staub, Tabak und Pferden gerochen, und ein Dreitagebart spross auf seinem markanten Kinn. Bei ihrem Anblick hatte sich sein Mund langsam zu einem unbefangenen Lächeln verzogen, das sich in seinen Augen widerspiegelte. Augenblicklich war sie in den Bann gezogen von seiner unverstellten Männlichkeit.
»Dumme Gans«, murmelte sie, und dennoch fing ihr Herz bei der Erinnerung daran an zu rasen.
Die gemeinsame Zeit zu vergessen war leichter gesagt als getan, fand Jules. Wie sehr sie damit recht hatte, sollte sie ein paar Stunden später herausfinden.
An diesem Tag bekam sie Trent das erste Mal beim Frühstück zu Gesicht, als er sich zu seiner Gruppe an den Tisch setzte. Shaylee saß mit mürrischem Gesicht neben ihm und knabberte an ihrem Muffin. Jedes Mal, wenn Jules in Trents Richtung blickte, war er mit seinen Schülern beschäftigt. Sie ertappte ihn nie dabei, dass er zu ihr herübersah, was im Grunde nur gut war. Trotzdem schmeckten ihr deshalb ihre Haferflocken mit Früchten und der Kaffee nicht besser.
Shaylee dagegen starrte Jules fast ein Loch in den Bauch, was nicht unbedingt klug war. Auch wenn sie sich alle Mühe gab, konnte Jules das Flehen in den Augen ihrer Schwester nicht ignorieren. Wie gern hätte sie mit Shay geredet, doch sie durfte einfach kein Risiko eingehen. Schon gar nicht, wenn die gesamte Belegschaft von Blue Rock dabei war.
Vor der Mahlzeit hatte Reverend Lynch ein Gebet gesprochen, in dem er die Sicherheit der Schule in Gottes Hände legte. »In Psalm siebenundzwanzig, fünf, heißt es: ›Denn er deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er verbirgt mich heimlich in seinem Gezelt und erhöht mich auf einem Felsen.‹«
Erhöht mich auf einem Felsen?, grübelte Jules. Hatte er dieses Bibelzitat gewählt, weil das Institut Blue Rock – Blauer Felsen – hieß?
Die Stimmung beim Frühstück war angespannt, Schüler und Personal wirkten noch immer tief erschüttert über die Vorkommnisse auf dem Campus. Alle schienen Angst zu haben, weil es dem Sheriff und seinen Mitarbeitern bislang nicht gelungen war, den Mörder zu fassen.
Als die Schüler begannen, die Teller abzuräumen, betrat Lynch erneut das Podium und kam auf Organisatorisches zu sprechen. Er teilte den einzelnen Trupps ihre Aufgaben zu, dann rief er zu Jules’ Überraschung Shaylee, Lucy Yang und Eric Rolfe zu sich. Er bat sie, einander bei den Händen zu fassen und »die Mauer des Missverständnisses zu durchbrechen« und niederzureißen, was sie gegeneinander aufgebracht hatte.
Jules versuchte, das Kichern zu überhören, das hier und da im Speisesaal ertönte, als Lynch den Jugendlichen nacheinander eine Hand auf den Kopf legte und Gott um
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