S - Spur Der Angst
so viel schmollen.
»Ich möchte nur sichergehen, dass keine Gefahr für meine Schützlinge besteht«, hob der Direktor noch einmal an.
Trent hielt seinem Blick stand, wohl wissend, dass weit mehr dahintersteckte. »Ich bin mir sicher, dass der Sheriff Sie auf dem Laufenden hält«, erwiderte Trent, der sich nach nichts mehr als einer heißen Dusche sehnte.
Für den Bruchteil einer Sekunde verlor Lynch seine sonst so eiserne Contenance, und Trent konnte einen flüchtigen Blick auf den eiskalt berechnenden Mann mit dem Klerikerkragen werfen.
»Wir reden noch«, sagte Lynch, dann marschierte er mit langen Schritten auf die schweren Glastüren zu und verschwand in den Abend.
Trent schnappte sich ein Handtuch und wischte den Boden der Sporthalle trocken. Die Forderung des Reverends ging ihm nicht aus dem Kopf. Irgendetwas war falsch an dem Kerl. Nicht dass er nicht fromm genug gewesen wäre; was seinen Glauben anbelangte, so schien er es ernst zu meinen. Es war nur so, dass der Prediger Tobias Lynch ein bisschen zu sehr seine Rolle als wohltätiger Diktator genoss. Nikolaus II. hatte Russland. Lynch hatte die Blue Rock Academy.
Shaylee hatte recht.
Edie würde sich nicht umstimmen lassen.
»Blue Rock ist vermutlich mit das Beste, was Shay jemals widerfahren ist«, ertönte Edies Stimme über das Knacken der mehr als schlechten Verbindung hinweg.
Jules, das Handy ans Ohr gedrückt, lehnte sich mit der Hüfte gegen das Pult von Raum 212 des Schulgebäudes. Sie konnte kaum ein Wort des Lobgesangs verstehen, den ihre Mutter auf Blue Rock anstimmte, und wechselte das Ohr.
Reverend Lynch hatte Edie versichert, Shaylee mache sich »besser als erwartet«. Sie füge sich ein und habe bereits viele Freunde gefunden, trotz ihres anfänglichen Konflikts mit einem der Schüler. Trotz der »Tragödie«, mit der er den Tod ihrer Zimmergenossin meinte, bewältige Shaylee die »außerordentliche emotionale Herausforderung mit Mut und Tapferkeit«. Edie liebte solche Worte.
Jules starrte hinaus in die verschneite Landschaft, während Edie weiterschwafelte. Die Aussicht aus dem Klassenzimmer erinnerte an einen Wintersportort. Diese Seite des Gebäudes, auf der die Fachbereiche Sprachen und Sozialkunde untergebracht waren, wies zum Wasser hinaus, während die andere Seite mit dem mathematischen und naturwissenschaftlichen Zweig auf den hügeligen Campus und die Berge hinausging. Für einen Augenblick verspürte Jules Gewissensbisse, weil sie behauptete, sie wäre ganz woanders, um ihre Mutter außen vor zu lassen, doch es hätte die Situation höchstens verschlimmert, hätte Edie ihren tatsächlichen Aufenthaltsort gekannt.
Dabei war Edie heute ausnahmsweise einmal ausgesprochen guter Dinge. Nachdem sie sich so viel Negatives über ihre Zweitgeborene hatte anhören müssen, war das Lob des Schuldirektors Balsam für ihre Seele und eine Bestätigung dafür, dass Shaylee genau dort war, wo sie hingehörte – ganz gleich, wie sehr diese sie anflehte, sie von dort abzuholen.
»Für den Augenblick bleibt Shaylee da«, beharrte Edie. »Sogar Max ist dieser Ansicht. Die Straßen sind ohnehin nicht passierbar. Wenn es wärmer wird, werden wir weitersehen. Sollte Shay dann immer noch fortwollen und mein Rechtsanwalt mit dem Richter eine Einigung erzielen, dann holen wir sie eben. Fürs Erste muss sie sich zusammenreißen.«
»Aber sie ist so unglücklich«, wandte Jules ein.
»Shaylee ist immer unglücklich, und immer ist alles ganz furchtbar, das habe ich schon millionenfach mitgemacht. Außerdem habe ich das gerade erst mit ihr besprochen«, entgegnete Edie und brachte anschließend das Gespräch auf Jules. »Also, wo bist du eigentlich?«
»Nicht weit entfernt von San Francisco«, log Jules und schaute aus dem Fenster auf die vereisten Ränder des Lake Superstition.
»Immer noch auf der Suche nach Arbeit?«
»Es sieht so aus, als ergäbe sich etwas, zumindest für das nächste Jahr; ich werde also für eine Weile hierblieben.«
»Was ist mit deiner Katze?«
»Keine Sorge, meine Nachbarin passt auf Diablo auf.«
»Gut. Ich muss jetzt auflegen, Julia. Lass uns bald wieder telefonieren.«
»In Ordnung, Mom. Pass auf dich auf.« Jules schob ihr Handy zusammen und stellte es aus, eine Vorsichtsmaßnahme, die sie traf, seit sie in Blue Rock angekommen war. Sie verstaute das Telefon in ihrer Handtasche, schaute auf den Stundenplan und bereitete sich auf ihre letzte Klasse an diesem Tag vor, Schüler aus Cooper Trents Gruppe,
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