S - Spur Der Angst
Trents Büro war es totenstill.
»Wir müssen den Scheißkerl drankriegen, der die beiden Kids auf dem Gewissen hat«, sagte Trent grimmig. Weißglühender Zorn loderte in ihm auf. Er blickte Meeker in die müden Augen. »Der Bastard darf auf keinen Fall davonkommen.«
»Da haben Sie recht.« Wieder rieb sich der Officer die Stoppeln an seinem Kinn. »Dann sollten wir uns wohl besser an die Arbeit machen. Schnappen wir uns den Hurensohn.«
Jules saß noch am Schreibtisch und ließ sich wieder einmal die wüsten Anschuldigungen ihrer Schwester durch den Kopf gehen.
Shay war nicht unbedingt für ihre Sachlichkeit bekannt.
Was mochte ihr Vater wohl von Shay gehalten haben, als er und Edie zum zweiten Mal heirateten? Wenn sich Jules genug konzentrierte, konnte sie fast Rip Delaneys tiefen Bariton hören, mit dem er zu Edie sagte: »Weißt du, Schatz, gäbe es im Umkreis von drei Staaten ein emotionales Gezeitenbecken, würde sich Shaylee die tiefste Stelle suchen, mit den Füßen voran hineinspringen und anschließend laut um Hilfe rufen.«
Edie hatte das gar nicht lustig gefunden.
Rip Delaneys Einstellung gegenüber seiner Stieftochter war ein Stolperstein in einer ohnehin holprigen Beziehung.
Demnach solltest du nicht alles, was Shay sagt, für bare Münze nehmen, überlegte Jules. Dummerweise war Jules weder lange genug hier, um die Motive oder Handlungen der CBs beurteilen zu können, noch hatte sie sich bislang ihr Vertrauen erworben.
Sie war die Neue, die Außenstehende. Genau wie Shay, die auch noch nicht viel länger in Blue Rock war.
Für den Augenblick, so beschloss Jules, würde sie sich an die Unschuldsvermutung halten, nach welcher die Beschuldigten bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig gelten mussten – auch böswillige CBs. Meine Güte, Shay war eine solche Dramaqueen!
Doch selbst wenn die Hilfskräfte unschuldig sein sollten, so stank hier etwas ganz gewaltig. So viele Tragödien, und alle binnen fünf Monaten.
Nona Vickers war fast ein Jahr hier gewesen, Lauren Conway nur ein paar Monate. Was Andrew anbelangte, war sie sich nicht sicher, obwohl er vermutlich schon vor einer ganzen Weile nach Blue Rock gekommen war, sonst hätte man ihn kaum zum CB ernannt. Und dann war da noch Ethan Slade, der angeblich von Maris Howell sexuell belästigt wurde. Ethan war immer noch hier, seine Ausbildung am Institut gesichert, was seine Eltern offenbar besänftigt hatte.
Jules klickte nervös mit ihrem Kugelschreiber. Ihre Versuche, über die anderen Lehrer oder die Schüler an Informationen zu gelangen, waren bislang erfolglos geblieben. Es dauerte eine Weile, bis die Leute hier warmwurden, das galt für Schüler und Lehrer gleichermaßen.
Was blieb dann noch?
Die Personal- und Schülerakten.
Sie blickte aus dem Fenster auf eine Ecke des Verwaltungsgebäudes, in dem sämtliche Akten aufbewahrt wurden. Nicht alle, rief sie sich ins Gedächtnis und legte den Kugelschreiber in die Schublade zurück. Manche der Akten befanden sich in Reverend Lynchs Büro in der Kirche. In einem verschlossenen Schrank.
Sollte sie es wagen?
Sich Zugang zu den Akten oder Computern verschaffen und sich für den Fall, dass sie geschnappt wurde, eine Ausrede zurechtlegen?
Im Grunde blieb ihr gar nichts anderes übrig.
Sie musste es tun.
Sie musste handeln, bevor noch jemand zu Schaden kam.
Wenn ihr doch bloß etwas einfallen würde!
In Gedanken noch halb bei ihrem Vorhaben, versuchte sie die nächsten dreißig Minuten, sich auf ihren Unterrichtsplan für den nächsten Tag zu konzentrieren.
Schließlich gab sie auf. Sie würde sich auch nach dem Abendessen noch vorbereiten können. Wenn sie erst einmal in ihrem Apartment im Stanton House war und ihren Schlafanzug angezogen hatte, würde ihr vielleicht einfallen, wie sie an die Akten herankäme. Sie sammelte ihre Notizen, Bücher und mehrere CD-ROMs ein und verstaute sie in ihrer neuen Blue-Rock-Academy-Büchertasche.
Anschließend hängte sie sich den Tragegurt über die Schulter und machte sich auf den Weg zur Tür. Die Dunkelheit hatte sich bereits über die Berge gesenkt, und es schneite kräftig. Als sie das Licht ausschaltete, fragte sie sich, wann der Sturm wohl endlich nachlassen würde und diese Schule nicht länger von der Außenwelt abgeschnitten wäre. Im Augenblick kam niemand hier durch. Es war, als hätte sich das Schicksal gegen sie verschworen; das Heulen des Windes klang fast wie höhnisches Gelächter.
Jetzt sei nicht albern, schalt sie sich
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