S - Spur Der Angst
Vorfällen im Pferdestall herrührte, glaubte Jules nicht. »Es gibt genug Menschen, die dir helfen wollen, Maeve.«
»Glauben Sie wirklich, jemand könnte mir helfen?«, fragte diese spöttisch. Ihr Gesicht mit dem ruinierten Make-up wirkte verzerrt. »Sind Sie verrückt? Es gibt nichts, was ein Berater oder Sie oder sonst wer für mich tun könnte, also lassen Sie mich zum Teufel noch mal in Ruhe –« Sie fing sich wieder, blinzelte und schluckte ihren Zorn hinunter. »Bitte«, drängte sie und streckte flehend die Hand aus, »bitte gehen Sie einfach.«
»He! Alles klar?«, ertönte plötzlich eine Stimme. Als sich Jules umschaute, sah sie Roberto Ortega die Treppen vom ersten Stock heruntereilen.
»Mir geht es gut!« Maeve schniefte laut und schüttelte abwehrend den Kopf.
»Bist du sicher?« Robertos Gesicht war verkniffen vor Sorge.
»Hab ich das nicht gerade gesagt?« Schnell stopfte sie den Rest ihrer Sachen in die Tasche, schnappte sich die restlichen Bücher, dann rannte sie hinaus in den Sturm.
Ein Schwall kalte Luft fegte ins Schulgebäude. Jules fröstelte und blickte Maeve durch die sich schließenden Glastüren hinterher. Mit wehendem Haar und mit einer Hand in ihrer Tasche wühlend, rannte sie durch den herabfallenden Schnee, dann zog sie die rosafarbene Mütze hervor und setzte sie auf.
»Mädchen!«, bemerkte Roberto kopfschüttelnd, als die Türflügel zufielen. Dann lächelte er verlegen, als wäre ihm soeben klargeworden, dass auch Jules dem weiblichen Geschlecht angehörte, und warf einen Blick auf die Uhr. »Entschuldigen Sie«, sagte er, drehte sich um und eilte stirnrunzelnd in die entgegengesetzte Richtung.
»Schon gut!«, rief sie ihm nach, aber Roberto war bereits am Naturkundelabor vorbei und öffnete die Tür zum Campus. Von dort aus war es nicht weit zu den Wohnheimen.
Wumm! Die Tür fiel ins Schloss, und wieder einmal hatte Jules das Gefühl, ganz allein in dem großen Glasgebäude zu sein.
Sie schloss den Reißverschluss ihrer Daunenjacke und trat hinter Maeve her hinaus in die Kälte. Aus der Ferne sah sie undeutlich, wie das Mädchen auf jemanden zuging, der unter dem Vordach des Durchgangs zwischen dem Verwaltungs- und Gemeinschaftsgebäude stand. Ein Junge? Ein Mann? Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen, sah nur, dass er Jeans trug und eine der Institutsdaunenjacken.
Obwohl es erst fünf war, war es schon recht dunkel, und die dichten Schneeflocken taten ein Übriges, was die schlechte Sicht betraf.
Maeves Begleiter legte ihr schützend einen Arm um die Schultern und geleitete sie über den Weg, der an der Kirche entlangführte.
Eine Sekunde lang meinte Jules, es wäre Ethan Slade, der Junge, dessentwegen Maeve vermutlich geweint hatte.
Oder war es jemand anderes, der sie tröstete?
Vielleicht Vater Jake? Aber die beiden wirkten zu vertraut, als dass es der kirchliche Jugendbeauftragte hätte sein können.
Sie verschwanden in der Dunkelheit und ließen Jules nachdenklich zurück. Was war bloß los mit Maeve Mancuso?
Womöglich hatte ihre unerwiderte Liebe zu Ethan gar nichts mit ihrem emotionalen Zustand zu tun, und sie trauerte um Nona. Auf alle Fälle war sie ein typischer Teenager: in der einen Minute himmelhoch jauchzend, in der anderen zu Tode betrübt.
Trotzdem machte sich Jules Sorgen und wusste nicht, wie sie Maeve helfen sollte.
Sie dachte an das Blatt, das aus Maeves Tasche gerutscht war, und an das vor ihrer Tür. Beide waren liniert, doch die Handschrift darauf war verschieden.
HELFEN SIE MIR, hatte auf ihrem gestanden, OMEN auf dem von Maeve. Hatte das Mädchen die Nachricht geschrieben – oder erhalten, womöglich als Warnung?
Das würde sie vermutlich nie erfahren, dachte Jules, doch das mulmige Gefühl, das sie beschlichen hatte, wollte nicht weichen. Wieder musste sie an Shays Ängste denken, ganz gleich, ob sie eingebildet oder real waren.
Schluss damit. Wenn Shay denkt, auf dem Campus findet irgendeine finstere Verschwörung statt, dann lass sie doch. Shay macht immer viel Wirbel um nichts.
Der Wind fuhr heulend über den See. Geduckt hastete Jules hinüber zum Stanton House. Bei jedem Schritt sagte sie sich, dass ihre Fantasie mit ihr durchging, dass Shay unrecht hatte, doch als sie an der Kirche vorbeikam, erschauderte sie aus tiefster Seele.
Kapitel einunddreißig
V erdammt!« Jules konnte ihr Handy nicht finden. Ihre in dicken Handschuhen steckenden Finger durchwühlten die Handtasche – vergeblich.
Sie war noch auf dem
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