S - Spur Der Angst
Missy die Tasche entreißen und durchwühlen wollte, blieb Jules nichts anderes übrig, als sie gehen zu lassen. Was Zach anbelangte, so wirkte er eher gelangweilt.
»Dann muss es ja noch im Klassenzimmer liegen«, sagte Jules, während die beiden Kurs auf die Aufzüge nahmen.
Sie öffnete die Tür zu Raum 212 und trat ein. Alles wirkte unverändert, die Tische waren im Halbkreis angeordnet, die Oberflächen sauber.
Jules suchte geschlagene zehn Minuten, öffnete Schubladen, sah im Schrank nach, auf dem Fußboden – vergeblich. Ihr Handy war nirgendwo zu finden. Hatte Missy es genommen? Oder war noch jemand außer ihrer neuen Hilfskraft im Klassenzimmer gewesen?
Sie wusste, dass die Schüler von Blue Rock ein Handy mit Gold aufwogen; fast jeder von ihnen würde die Chance ergreifen, eins zu klauen, sei es zum persönlichen Gebrauch oder um es auf dem campusinternen Schwarzmarkt zu verscherbeln.
Trotzdem …
Wieder schaltete sie das Licht aus, doch diesmal trat sie ans Fenster, bevor sie das Klassenzimmer verließ, und blickte über den Campus. Alles war friedlich, der vom Himmel rieselnde Schnee funkelte im Licht der Weglaternen.
Aus der Kirche drang ein warmer Schein und trug zu dem idyllischen Bild bei. Alles Täuschung, dachte Jules bei sich.
Wie es Nona Vickers’ Eltern im Augenblick wohl gehen mochte? Und denen von Andrew Prescott? Von Idylle konnte hier wohl kaum die Rede sein.
Sie entdeckte Missy und Zach, die schnellen Schrittes auf die Kirche zuhielten. Zach hatte den Arm um Missys Schultern gelegt, als würde er sie führen.
Gerade als sie den Eingang erreichten, drehte sich Missy um, das Gesicht nach oben zum Klassenzimmer gerichtet, dorthin, wo Jules in der Dunkelheit stand.
Jules erstarrte und fragte sich, ob das Mädchen sie sehen konnte.
Und wenn schon, mahnte die Stimme der Vernunft, dennoch verspürte sie einen Anflug von Furcht.
Zach schien etwas zu sagen, Missy schlüpfte durch die Tür in die Kirche, und Jules blieb mit dem nagenden Gefühl zurück, dass Shay recht hatte. Vielleicht gab es hier wirklich eine Art Geheimbund, eine Sekte, vielleicht war Blue Rock wirklich die Schule der Verdammten.
Wenn das so wäre, würde Jules es herausfinden, und zwar noch an diesem Abend.
Trent fing Jules ab, als sie das Schulgebäude verließ. Gedankenverloren, den Kopf gegen den Wind gebeugt, marschierte sie eiligen Schrittes Richtung Stanton House.
»He, Ms. Farentino!«, rief er, nur für den Fall, dass jemand sah, wie er sie aufhielt. »Warten Sie!«
»Wie bitte?« Ihr Kopf fuhr hoch, erschrocken, dann blieb sie im Licht einer hohen Laterne stehen. Schneeflocken wirbelten um sie herum und fingen sich in den Strähnen, die aus ihrer Kapuze herauslugten.
Vielleicht spielte ihm das Licht einen Streich, aber für den Augenblick eines Herzschlags meinte Trent zu bemerken, wie sich ihre Mundwinkel hoben, als würde sie sich über seinen Anblick freuen. »Ich wollte mit Ihnen über einen unserer Schüler reden«, sagte er laut und widerstand dem Drang, die Hand nach ihrem Ellbogen auszustrecken.
»Über wen denn?«, fragte sie, als er bei ihr war.
»Über Andrew Prescott«, antwortete er. Zusammen gingen sie den schneebedeckten Weg entlang. Trent senkte die Stimme. »Ich habe es vor ein paar Stunden erfahren – er ist gestorben. Lynch wird das später bekanntgeben.«
Jules wurde blass, ihre grauen Augen verdunkelten sich vor Trauer. »Noch einer«, flüsterte sie. »Du lieber Gott, ich hatte so sehr gehofft, er würde es überstehen.«
»Das hatten wir alle gehofft.«
Sie stieß einen langen Seufzer aus, während er ihr berichtete, was er von Meeker erfahren hatte. Schaudernd hörte sie zu, und auf ihrem Gesicht zeichnete sich tiefe Besorgnis ab.
Trent bemerkte ihr Unbehagen und hätte am liebsten tröstend den Arm um sie gelegt und ihr ins Ohr geflüstert, dass alles wieder gut werden würde. Aber er tat es nicht. In erster Linie deshalb, weil er fürchtete, man könnte sie sehen und daraus schließen, dass sie mehr waren als nur Kollegen, zum anderen, weil er sich vor langer Zeit geschworen hatte, sich nie wieder einer Frau zu nähern, die mehr als klargestellt hatte, dass sie nicht interessiert war.
Und genau das hatte Jules getan.
Direkt nach dem Mord an Rip Delaney hatte sie ihm mitgeteilt, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte.
Der dritte Grund war der, dass nichts wieder gut werden würde, und der vierte, dass er sich selbst trotz all seiner Schwüre nicht über
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