S - Spur Der Angst
richterlichen Anweisung von der Schule zu nehmen?
Um ihn auffliegen zu lassen?
Das Herz des Anführers wurde eiskalt. Lauren Conways Gesicht kam ihm in den Sinn, und er griff in seine Tasche, um sich zu vergewissern, dass der kleine USB-Stick mit den belastenden Fotos und Informationen sicher verstaut war. Auch sie hatte vorgehabt, ihn hochgehen zu lassen, und sie hatte auf die harte Tour erfahren müssen, dass es unmöglich war, sich Gottes Willen zu widersetzen.
Es war beim letzten Mal gewesen, als er sich mit seinen Jüngern in der alten Kirche getroffen hatte, einem Gebäude, das vor dem Verfall stand. Neben einem Friedhof im Wald nahe den Blue-Rock-Höhlen versteckt, bot die baufällige Kirche die so dringend benötigte Abgeschiedenheit und war damit der perfekte Ort, wo er seine geheimen Treffen zur Lobpreisung Gottes mit denen abhalten konnte, die bereit waren, dem Herrn zu dienen. Zumindest hatte er das gedacht.
Doch während seiner Predigt hatte er flüchtig ihr Gesicht in der dünnen Scheibe entdeckt, und ihm war klargeworden, dass sie ihn ausspionierte.
Eine Abtrünnige. Eine Verräterin.
Genau wie die erste Frau, die er von ganzem Herzen geliebt hatte. Jene erste würde ihren Fehler bald erkennen, würde erfahren, was für eine Närrin sie gewesen war, doch bei Lauren war das etwas anderes.
In jener Nacht hatte er so getan, als hätte er sie nicht bemerkt, als hätte er ihre Lügen nicht durchschaut, dennoch hatte sie kurz darauf die Konsequenzen zu spüren bekommen. Es hatte sein müssen, sonst hätte sie womöglich noch echten Schaden angerichtet.
Wieder berührte er den kleinen USB-Stick und rief sich vor Augen, dass er niemandem trauen durfte. Der Datenträger war wie eine stumme, fortwährende Mahnung. Er musste wachsam sein.
Der Anführer biss sich auf die Mundwinkel. Als Soldat Gottes musste er sich um alles kümmern, was seine Mission gefährdete, diese Schule zur besten des ganzen Landes zu machen. Er sah sich selbst, wie er gelobt wurde, gepriesen für seine guten Werke. Blue Rock wäre das erste von vielen Instituten, deren Ziel es war, der desillusionierten Jugend zu helfen, sie zu Christus zu führen, sie zu Soldaten zu machen, zu einer Armee Gottes. Seine Mission gliche der vieler europäischer Könige und Herrscher, die Kreuzzüge ins Heilige Land ins Leben gerufen hatten, er selbst wäre ein Krieger wie König Richard I. von England, Richard Löwenherz.
Ja, es war Blut vergossen worden.
Doch das war unerlässlich im Kampf um die Verbreitung von Gottes Wort.
Vor seinem inneren Auge sah er sich in der Villa am Ufer des Lake Washington, die in vielerlei Hinsicht an eine Burg erinnerte. Perfekt. Doch er überflügelte sich selbst – vorerst gab es noch so viel zu tun, und sein Soldat hatte recht: Der Sturm bot die perfekte Gelegenheit, sich der Verräter zu entledigen, die das Institut infiltriert hatten.
Im ganzen südlichen Oregon war ein Fortkommen unmöglich. Flugzeuge blieben am Boden, Lkws, Pkws und Busse steckten auf der Interstate fest, die kleineren Straßen waren alle unpassierbar. Schneewehen verhinderten ein Öffnen des Haupttors zum Schulgelände, die Lebensmittel beschränkten sich auf das, was sie für Notfälle eingelagert hatten.
Bislang war die Stromversorgung intakt. Für den Fall, dass ein Transformator ausfiel oder ein Strommast umstürzte, hatten sie die beiden Generatoren, wenngleich dann nur noch begrenzt Strom zur Verfügung stand.
Er würde schnell sein müssen, wenn er sich die Verräter vorknöpfen wollte, deshalb setzte er Julia Farentino ganz oben auf seine Liste.
Warum entpuppten sich die Frauen, die ihn am meisten faszinierten, stets als die gefährlichsten?
Wieder klingelte das Handy in seiner Hand. Lächelnd nahm er das Gespräch an und presste sich das kleine Gerät ans Ohr. Eine panische Stimme am anderen Ende der Leitung zischte: »Mein Gott, Jules, was tust du nur? Macht es dir keine Angst, dass hier Schüler sterben? Sterben, Jules! Das bedeutet, dass sie tot sind! Ich … ich dachte, du wärst gekommen, um mich hier rauszuholen – nun, dann schnell! Du musst etwas unternehmen! Ruf Edie an! Ruf Dad an! Ruf meinetwegen den Präsidenten an, aber bring mich hier raus! Ach, verflixt, ich glaube, da kommt jemand …«
Die Leitung war tot.
Er unterdrückte ein Fluchen.
Die Lage war schlimmer, als er gedacht hatte. Seine rechte Hand hatte sich nicht geirrt. Er musste umgehend reagieren.
Für ein Treffen in der alten Kirche blieb keine
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