S - Spur Der Angst
Fischadler hatte hoch über ihnen am blauen Junihimmel gekreist.
Sie waren nackt ins Wasser gesprungen, spritzend und ausgelassen lachend. Danach hatten sie sich am Ufer geliebt, während die Sonne ihre Haut trocknete und das Wasser zum Funkeln brachte.
Für einige kostbare Monate hatte sie sich lebendig gefühlt, verliebt, war voller Gewissheit gewesen, dass eine goldene Zukunft auf sie wartete.
Dann war ihr Vater ermordet worden, und alles hatte sich verändert.
Und jetzt lief sie hier mit Trent durch die eisige Winternacht, Trents behandschuhte Hand führte sie einen dunklen Pfad entlang, der zwar freigeschaufelt, aber schon wieder dick mit Schnee bedeckt war. Ihre Ohren waren halb erfroren, ihre Nase tropfte.
Doch damit nicht genug: Ein Mörder lag auf der Lauer, mitten unter ihnen, unerreichbar für den Arm des Gesetzes.
Alles war weit entfernt von jenem idyllischen Sommer damals.
Trent führte sie an der Ecke einer Gerätescheune vorbei zu der Reihe alter, maroder Blockhäuser, in denen einige der Lehrkräfte untergebracht waren.
Wade Taggert wohnte in einem davon, Kirk Spurrier in einem anderen und Salvatore DeMarco in einem dritten. Das vierte war Trents Zuhause. Bert Flannagan, das wusste Jules, hatte seine eigenen Räumlichkeiten unter dem Dach eines der Nutzgebäude in der Nähe der Stallungen, und auch Charla King war separat untergebracht, während die übrigen Angestellten der Schule in Einzimmerwohnungen im Stanton House wohnten, genau wie Jules.
Während ihr die Schneeflocken ins Gesicht wehten, dachte sie darüber nach, wer erwählt worden war, ein Teil von Blue Rock zu sein. Lehrer, Berater und Verwaltungsangestellte, ausgesucht von Reverend Lynch nach ihren Führungsqualitäten und ihren akademischen Befähigungen.
Oder aus anderen, ihr unbekannten Gründen?
Und was war mit den Schülern, den Hilfskräften, die hier ihre Collegeausbildung absolvierten? Missy Albright, Zach Bernsen, Kaci Donahue – waren sie Mitglieder eines todbringenden Geheimbunds? Und was war mit Eric Rolfe, Ethan Slade und dem halben Dutzend anderer? War es möglich, dass einer von ihnen ein eiskalter Killer war, ein gewissenloser Soziopath?
Würden ihr die Akten darauf eine Antwort geben?
Sie schauderte, als Trent sie an den Blockhäusern vorbeiführte. In dreien brannte Licht, das letzte in der Reihe, das Trent gehörte, war dunkel. Doch auch ohne Licht erkannte man gleich, dass es aus den 1930ern oder 1940ern stammen und dringend renoviert werden musste. Die Stufen der Hintertreppe waren schief, das Dach hing stellenweise durch.
»Willkommen im Ritz«, brummte er und schloss die Tür auf. Drinnen legte er den Riegel vor und schaltete das Licht an. Auch wenn im Haus bestimmt nicht mehr als achtzehn Grad herrschten, fühlte es sich angesichts der eisigen Kälte draußen warm an.
»Geht es dir gut?«, fragte Trent und stellte den Metallträger auf eine kleine Bank im Vorraum.
»Einfach großartig«, erwiderte Jules sarkastisch. »Könnte nicht besser sein. Abgeschnitten vom Rest der Welt durch einen Jahrhundertblizzard, gefangen mit einem mordlüsternen Psychopathen. Im Ernst, kann es noch schlimmer kommen?«
»Ich bin da«, erinnerte er sie.
»Genau das meine ich doch!«, fuhr sie ihn an und bemerkte, wie sich seine Lippen zu einem Grinsen verzogen. »Nein, schlimmer geht’s nicht.«
»Sicher?«
»Ganz bestimmt nicht!« Sie warf ihm einen Mach-dich-nicht-über-mich-lustig-Blick zu. »Jetzt spiel hier nicht den Westernhelden, da beiße ich definitiv nicht an.«
Sein Grinsen wurde breiter, seine Augen funkelten. »Na, was soll’s, Ma’am, hab ich eben mein Pulver umsonst verschossen.«
»Tut mir leid, Cowboy.« Nun musste auch Jules grinsen, und die Spannung war gebrochen. Er hatte recht, dachte sie, während sie beide ihre Stiefel auszogen, in seiner Gegenwart fühlte sie sich tatsächlich sicherer, spürte instinktiv, dass sie ihm vertrauen konnte. Und dabei hatte sie sich geschworen, ihn nie mehr wiederzusehen.
Dummkopf. Du wusstest es immer schon. Selbst als du Sebastian geheiratet hast. Sie krümmte sich innerlich bei diesem Gedanken.
Trent hängte seinen Hut an einen Haken und schälte sich aus seiner Lammfelljacke.
In seinem Hosenbund steckte eine Pistole.
»Augenblick mal«, sagte sie. »Du trägst eine Waffe?«
Er warf die Jacke über einen freien Haken. »Dachte, das wäre keine schlechte Idee.«
»Da hast du vermutlich recht.«
»Außerdem ist es völlig legal. Meeker und O’Donnell
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