Saat des Himmels
die Karawanenstraße den Fluss quert,
wo viele Menschen sich begegnen. Und er werde die Lehre
vom Frieden und der Gerechtigkeit verbreiten und von der
Erlösung der Geplagten. Allen Menschen sagen würde er,
dass nach dem Willen des Allmächtigen alsbald ein Messias
erscheinen und das Himmelreich verkünden werde. Dieses
sei nun seine Aufgabe!
Als puren Unsinn hatte Jussup im ersten Augenblick das
abtun wollen. Aber als er Ibrahim angeschaut, den
entrückten Blick und das Staunen, das dessen Gesicht
ausdrückte, wahrgenommen hatte, verschlug es ihm Spott
und Zweifel. Da ging ein Ibrahim, der plötzlich anders
geworden war als jener, der sein Fleisch gegessen und mit
ihm tagelang das Lager geteilt hatte.
Ehrfurcht vor etwas Unerklärlichem hatte Jussup
ergriffen, und er ließ jenen ziehen…
Als er zur Herde zurückgegangen war, hatte er den Blick
zu dem Stern, der trotz des Lichts der aufgehenden Sonne
hell über dem Felsen strahlte, gerichtet, und er wusste, dass
dieser Stern und Ibrahims Erleuchtung im Zusammenhang
standen. Aber Furcht hatte sich nicht wieder eingestellt. Es
waren gute Worte, die letzten, die er von seinem
sonderbaren Gast vernommen hatte.
„Und wir sind auf dem Weg zu ihm wie andere auch. Ich
und Miriam, mein Granatäpfelchen. Was ist nicht alles
geschehen in dieser kurzen Zeit!“ Jussup schüttelte in
Gedanken den Kopf. „Woher kam Ben Abchats Wandel,
mir, dem Habenichts, seine Erste Magd anzuvertrauen.
Habenichts! Was wird den reichen Hassim veranlasst
haben, nur da er sich alt fühlt, mir eine Fuhre Stämme zu
schenken? Weil Ben Abchat davon erfahren hat und ich
ihm das Dach seines morschen Schuppens repariert habe –
waren das die Gründe, die ihn zum Einlenken bewogen?
Oder sollte er insgeheim fürchten, dass eintrifft, was die
neue Lehre kündet: Diejenigen, die sich mit Sünde beladen
und nicht bereuen, wird der Herr strafen? Und ist es nicht
Sünde, Liebenden den Weg zueinander zu versperren?“
Sie näherten sich einem ausgedehnteren Gebüsch, das einen
schmalen Schatten warf.
„Hier rasten wir“, sagte Jussup mit rauer Stimme.
Es war, als erwache Miriam aus einem tiefen Schlaf. Sie
richtete sich auf, reckte die Arme, blickte sich orientierend
um und glitt vom Esel. Sie lächelte Jussup zu, suchte jedoch
sogleich den Schatten auf und ließ sich darin nieder.
„Na, wo bleiben die zwei denn?“ Jussup hielt die Hand
über den Kopf, um die Sonne auszublenden, und blickte in
die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Das Dromedar mit Achim, dem Bruder Miriams, und
Salome, seinem Weib, darauf, schwankte hochmütig
erhobenen Haupts gemächlich heran. Links und rechts in
den Sitzkörben die beiden aber schliefen.
„Schöne Aufpasser“, flüsterte Jussup, beugte sich zu
Miriam herab und legte einen Augenblick seinen Kopf an
den ihren. Sie lachte ihn an; leichte Röte stieg in ihre
Wangen.
Am Lagerplatz blieb das Reittier stehen und begann an
den Sträuchern zu knabbern.
Als das Wiegen abgeebbt war, wurde zunächst Salome
munter, blickte einen Moment verschämt, stieß dann aber
den Mann jenseits des Höckers an und sagte: „Endlich!“
Achim bewog das Dromedar niederzuknien, und die
beiden kletterten aus den Körben.
„Na, munter, munter…!“, rief Jussup. „Wenn wir heute
noch den Nadro erreichen wollen, müssen wir uns sputen!“
Achim gähnte. „Ich zweifle immer noch, ob sich die Reise
lohnt“, sagte er, und er löste die Taschen vom Geschirr des
Reittiers, packte Fladenbrot und Datteln aus.
„Du bist ja nicht unterwegs, um die Lehre zu vernehmen“,
frotzelte Salome. „Du hast auf deine Schwester aufzupassen
und auf diesen Nichtsnutz.“ Sie wies auf Jussup.
„Ihr werdet es erleben! Ibrahim, mein Freund, wird auch
euch nicht enttäuschen. Und wenn es stimmt, was die Leute
sagen, die schon bei ihm waren und die er mit dem heiligen
Wasser des Nadro gewaschen hat, dann wird der Wunsch
Miriams, von der Lehre, vom Erlöser, der zu uns kommen
wird, zu vernehmen, erfüllt sein. Dann hat sich die Reise
gelohnt. Euren Vater und den alten Abchat wird es freuen.
Überwindung hat es die beiden genug gekostet, der Reise
zuzustimmen.“
Plötzlich war sich rasch nähernder Hufschlag zu
vernehmen.
Um das Gebüsch bogen vier Reiter, an ihren Buschhelmen
und Lederpanzern, dem Kurzschwert an der Seite, sofort zu
erkennen: eine Patrouille der Okzidentalen.
Eines der Pferde bäumte sich scheuend hoch auf. Dann
schlugen seine Vorderhufe auf den Boden; es klang,
Weitere Kostenlose Bücher