Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sabihas Lied

Sabihas Lied

Titel: Sabihas Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Miller
Vom Netzwerk:
absetzte. Am rechten Handrücken hatte sie einen roten Verbrennungsfleck davongetragen. Die Gäste strömten alle fast gleichzeitig herein. Ihnen stand nur eine knappe Stunde zur Verfügung, und so wollten sie umgehend bedient werden. Jeden Mittag brach im Café die gleiche Hektik los.
    John kam aus dem Speiseraum, lud sich drei Schalen auf und trug sie hinaus. Sabiha straffte den Rücken, wischte sich den Schweiß von der Stirn, dann steckte sie die losen Haarsträhnen wieder unter ihr Kopftuch. Plötzlich bemerkte sie, dass jemand in der Hintertür stand. Mit einem Ruck drehte sie sich um.
    Ein heller Sonnenstrahl fiel auf Brunos stolze römische Gesichtszüge. Er hielt eine Kiste Tomaten gegen die Brust gedrückt und starrte Sabiha an. Unter den aufgerollten Ärmeln traten die Sehnen an seinen Unterarmen hervor.
    Sie hatte ihn in seiner ganzen Pracht vor sich. Unter seinem eindringlichen Blick schoss ihr das Blut in die Wangen. Ich bin eine gespaltene Frau, dachte sie hilflos.
    Ein Schleier von Erschöpfung lag auf seiner glatten Haut, unter seinen Augen zeichneten sich schwere bläuliche Schatten ab.
    Â»Ich muss mit dir reden, Sabiha«, sagte Bruno.
    Â»Ich komme dich Freitag am Stand besuchen.« Sie konnte nicht recht fassen, was sie ihm eben angeboten hatte. »Dann kannst du mir alles sagen, was dir auf dem Herzen liegt.« Ihr Ton war streng. Sie hatte ihm tatsächlich ein Wiedersehen in Aussicht gestellt.
    Ohne sich vom Fleck zu rühren, sah er sie an.
    Â»Stell die Tomaten hin, geh in den Speiseraum und iss endlich zu Mittag«, ordnete sie fürsorglich an. »Mach schon, Bruno.«
    In diesem Moment trat John durch den Perlenvorhang. Verblüfft sah er die beiden an. »Was soll er machen?«, fragte er.
    Bruno setzte die Kiste auf dem Boden ab. Dann richtete er sich wieder auf und sah John gelassen an.
    Sabiha spürte ein mulmiges Gefühl in der Magengegend und lehnte sich gegen die kühle Marmorplatte. Sie schloss die Augen – da war sie wieder, die Blinde, die sich in ihre Dunkelheit zurückzog. Sie betete stumm, dass Bruno ihr Geheimnis nicht verraten würde.
    Â»Alles in Ordnung, Bruno?«, fragte John.
    Â»Ja, mir geht’s gut. Und wie geht’s dir ? Geht es dir auch gut, John?«, entgegnete Bruno und lachte dreist.
    John bewahrte die Ruhe. »Ja, mir geht es auch gut, Bruno. Aber ist bei dir wirklich alles in Ordnung?«
    Schnaubend drückte sich Bruno an ihm vorbei und preschte durch den Perlenvorhang.
    Sabiha wandte sich von der Arbeitsplatte um.
    John blickte Bruno hinterher, als wollte er ihm folgen und eine Erklärung verlangen. Er holte tief Luft. »Was war denn hier los?«, fragte er zorngerötet.
    Sie nahm Doms schwarze Kelle wieder in die Hand. »Wir sollten lieber weitermachen, bevor das Essen kalt wird. Die Männer warten.«
    John rührte sich nicht. Als sie ihm keine Beachtung schenkte, raffte er den Perlenvorhang zur Seite und warf einen Blick in den Speiseraum. »Ich werde ihn zur Rede stellen.«
    Â»Weswegen bloß?« Ihr missfiel der Ton, den sie angeschlagen hatte, aber sie konnte sich nicht beherrschen.
    Â»Für den Fall, dass er dir zu nahe getreten ist.«
    Als Sabiha ihm in die Augen sah, erkannte sie, dass seine Wut bereits verraucht war. Das war typisch für John. Hatte er etwa schon damit gerechnet, dass sie ihm versichern würde, es sei nichts vorgefallen? Aber dennoch lag ihm die Sache wirklich am Herzen. Er wollte sie klären und nicht einfach darüber hinwegsehen. Sowohl sein Blick als auch seine Haltung signalisierten Entschlossenheit. John war empfindlich, das ja, aber es war nicht unbedingt ein Zeichen von Schwäche. Seit über sechzehn Jahren lebte Sabiha mit ihm zusammen, doch nun fragte sie sich, wie gut sie ihn wirklich kannte.
    Â»John, bitte«, sagte sie in einem sanfteren, leicht flehentlichen Ton. »Du weißt doch, dass Bruno es mir gegenüber niemals an Respekt fehlen lässt.«
    Â»Warum sagst du in letzter Zeit ständig John ?«, fragte er eher verwundert als verärgert. »Was ist los mit dir?«
    Â»Ich bin müde«, sagte sie. »Es tut mir leid.« Sie rang um Fassung. Sie würde es schaffen. Ganz bestimmt. Sie würde die Dämonen vertreiben und zum geordneten Alltag zurückkehren.
    Er trat auf sie zu und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Schon gut, Liebling. Mir tut es auch leid. Ich kann dich

Weitere Kostenlose Bücher