SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
die mit der Wahrnehmung des Gewaltmonopols durch den Staat einhergeht. Die meisten linken Bewegungen wollten das lange Zeit nicht akzeptieren. Das galt eine Zeitlang auch für mich, aber ich habe meine Position revidiert.
A: Was ist das Gewaltmonopol?
K: In einem demokratischen System ist allein der Staat legitimiert, die Anwendung physischer Gewalt für sich zu beanspruchen. Unterhalb seiner Schwelle gibt es kein Recht auf Gewalt. In der Wahrnehmung seiner Gewalthoheit ist der Staat allerdings dem allgemein geltenden Recht und Gesetz unterworfen.
A: Dann ist die strukturelle Gewalt des Systems, die nicht dem staatlichen Monopol unterliegt, auch illegitim?
K: Was meinen Sie damit? Ich glaube, hier wird etwas durcheinandergeworfen. Wenn wir so im Ungefähren diskutieren, wissen wir nicht, ob wir von einer akteursbezogenen Gewalt reden oder von einer strukturellen Gewalt, die angeblich in den Verhältnissen sedimentiert ist. Also, was meinen Sie damit?
A: Ich meine jene Umstände, die einen Teil der Leute zu Beherrschten machen und ihnen die Möglichkeit nehmen, mit demokratischen Mitteln an diesen Umständen etwas zu ändern. Diese Leute sind ohnmächtig. Kann man sie dann nicht als Opfer von Gewalt beschreiben?
K: Das würde ich ablehnen. Als Beschreibung ebenso wie auch als Teil einer Definition. Wer so argumentiert, der öffnet neben dem parlamentarischen Raum einer durch die Verfassung gedeckten Demokratie einen außerparlamentarischen Raum mit dem Versuch einer Legitimationsstiftung für eine vermeintlich bloß reaktive Form der Gewalt – die so oft beschworene »Gegengewalt«.
A: Aber gibt es nicht gesellschaftliche Bereiche, in denen solche außerparlamentarischen Legitimierungsprozesse immer schon Teil des Systems waren? Nehmen Sie die Zentralbankpolitik: Die Deutschen waren immer stolz darauf, dass die Bundesbank dem demokratischen Prozess entzogen war, weil man der Demokratie nicht so weit traute, sich um das Geld kümmern zu können. Da haben wir auf Experten gesetzt, auf Philosophenkönige, die aus höherer Einsicht im Interesse des allgemeinen Ganzen handeln. Dann mussten wir aber feststellen: Das tun die gar nicht, die handeln auch nur im Interesse von Eliten. Was machen wir da?
K: Dieses Problem ist schon vor über 50 Jahren von dem amerikanischen Soziologen C. Wright Mills beschrieben und analysiert worden – in seinem Buch »The Power Elite«. Mills war ein Vordenker der Neuen Linken; er ist leider sehr früh gestorben, schon 1962. Da hatte sich eine erneuerte, gegenwartsbezogene Linke, die ihm vorschwebte, noch gar nicht richtig formiert.
A: Sonst hätten wir noch mehr von ihm gehört?
K: Davon bin ich überzeugt. Er war einer der seltenen Fälle, in denen ein Soziologe selber zum politischen Vordenker geworden ist. In den fünfziger Jahren durchlief die Linke ja zwei wichtige Entwicklungen: zum einen die Entstalinisierung und zum anderen die Sozialdemokratisierung. Mills hat sich sehr mit dem Stalinismus wie dem Poststalinismus beschäftigt und mit dem Versuch der Linken, die kommunistischen Fesseln abzustreifen. Andererseits wandte er sich aber auch gegen die sozialdemokratische Anpassung an das Bestehende, wie das die SPD mit ihrem Godesberger Programm vorexerziert hatte. Diese beiden Gedankenströme prägten seinerzeit die Grundpositionen der Neuen Linken: Sich einerseits gegen den Sowjetkommunismus und andererseits gegen die Sozialdemokratisierung zu positionieren. Das war auch die Linie, die der SDS eingeschlagen hat, nachdem er 1961 aus der SPD rausgeworfen worden war.
Mills legte damals eine Analyse über die Verselbständigung von Machteliten in den USA vor. Sie erinnern sich vielleicht an Eisenhowers Warnung vor der immer unkontrollierbarer werdenden Macht des militärisch-industriellen Komplexes? Der US-Präsident und einstige Oberbefehlshaber der amerikanischen Besatzungstruppen im Nachkriegsdeutschland hatte in einer aufsehenerregenden Rede zur Amtsübergabe an seinen Nachfolger John F. Kennedy diesen mit dieser Warnung konfrontiert. Es gab also ein ausgeprägtes Bewusstsein von einer verhängnisvollen Machtfülle bestimmter Eliten in Wirtschaft, Militär und Politik nicht nur bei Soziologen und linken Kritikern, sondern sogar an der Spitze des amerikanischen Staates.
A: Bei aller Macht war aber der militärisch-industrielle Komplex eingebettet in Staat und Gesellschaft. Die Finanzeliten, von denen wir heute sprechen, sind nicht mehr eingebettet – sie überwölben
Weitere Kostenlose Bücher