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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Augstein
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ihrerseits das System. Das ist eine andere Lage, oder?
    K: Ja, das trifft zweifelsohne zu. Die damalige Analyse hat insofern heute eine neue Qualität erlangt. Das ist auch – obgleich nicht nur – eine Konsequenz der Globalisierung. Nicht ohne Grund haben sich die Nationalstaaten dieser Machtfülle gegenüber bislang als hilflos erwiesen. Und auch die EU hat das nicht zu ändern vermocht; eher im Gegenteil, sie ist in diesen Krisenstrudel mit hineingerissen worden und in ihrem Bestand bedroht. Andernfalls wäre die Occupy-Bewegung nicht notwendig geworden. Es ist ja bemerkenswert, dass die vormals sozial orientierteren Kräfte – also in den USA die Demokraten unter Bill Clinton, in Deutschland die Sozialdemokraten unter Gerhard Schröder, in Großbritannien Labour unter Tony Blair – diese Entwicklung nicht nur fortgesetzt, sondern sie beschleunigt und radikalisiert haben. Und nicht vergessen werden sollte, dass die Grünen, solange sie Koalitionspartner waren, dies im Übrigen alles mit abgenickt haben. Zu dieser beängstigenden Entwicklung gibt es im arrivierten politischen System also keine relevanten Gegenpositionen mehr. Aus diesem Grund finden sich so viele Leute als Protestierende außerhalb des herkömmlichen Parteiensystems wieder. Weil sie den Eindruck haben, dass es innerhalb dieses Systems gar keinen Raum mehr gibt für ihr wachsendes Unbehagen, ihre grundsätzliche Kritik.
    A: Warum hat sich dann aber die Occupy-Bewegung so erbärmlich entwickelt?
    K: Das ist in der Tat ein Phänomen. Man muss sich einmal vorstellen, dass wir im Herbst 2011 in Deutschland Zustimmungsraten zur Occupy-Bewegung hatten, die zwischen 80 und 90 Prozent lagen. Eine derartige Mehrheit hatte hierzulande noch nie eine Protestbewegung hinter sich versammeln können. Das hat es wirklich niemals zuvor gegeben. Zumeist ist es ja so, dass die Bevölkerung bei zentralen Fragen eher gespalten ist. Das war zu Beginn der achtziger Jahre beim Nato-Nachrüstungsbeschluss, also in der Friedensbewegung, so, das war beim anderen großen Konfliktthema, der Atomenergie, so. Angesichts der Finanzkrise war das jedoch nicht mehr der Fall. Aber diese Bewegung war nicht dazu in der Lage, aus ihren Möglichkeiten etwas zu machen.
    A: Was hätte sie denn tun sollen?
    K: Auf dem Höhepunkt der Occupy-Bewegung hätte man beispielsweise einen Sternmarsch auf Berlin organisieren können. Dazu hätte man offensiv ein paar Kernforderungen stellen müssen: Die Trennung von Investment- und Geschäftsbanken, die Einführung der Kapitalmarktsteuer, ein Verbot von Spekulationen mit Lebensmitteln, vielleicht ein halbes Dutzend nahezu selbstevidenter Forderungen dieser Art – damit hätte man vor den Bundestag ziehen sollen. Dort wäre es vermutlich auch zu Reibereien gekommen, weil der Bundestag schließlich durch eine Bannmeile geschützt ist. Aber so eine Form von Protest halte ich noch für vertretbar. Das ist für mich nicht etwa gleichzusetzen mit einer illegalen Aktionsform.
    Vermutlich wäre rasch der Vorwurf erhoben worden, hier läge eine Nötigung des Parlaments vor. Aber ich würde das nicht so sehen. Das hat nichts mit Gewalt zu tun, sondern mit zivilem Ungehorsam.
    A: Muss sich denn in der Demokratie die Kritik immer an die Gesetze halten?
    K: Ja. Wenn es Gründe gibt, der in einer Kritik zur Geltung gebrachten Position einen Gesetzesrang zu verschaffen, dann muss der Versuch unternommen werden, ein bereits vorhandenes Gesetz zu ändern oder aber ein neues einzuführen. Dafür gibt es parlamentarische Formen, um das umzusetzen. Und wenn diese sich als unzureichend erweisen sollten, dann bietet unsere Demokratie genügend Möglichkeiten, das in der Form des kollektiven und öffentlichen Protests vorzubringen. Und zwar in einer viel dramatischeren Weise, als das die Occupy-Bewegung bislang versucht hat. Sie hat ihr Potential leider nicht genutzt. Gefehlt hat es vor allem an der politischen Zuspitzung, insbesondere am richtigen Adressaten.
    Das ist der zentrale Punkt, um den es mir geht. Die Probleme, die uns die Finanzmärkte eingebrockt haben, sind Probleme einer systematischen, die demokratischen Verhältnisse untergrabenden Deregulierung. Die Politik hat diese Probleme verursacht. Und nur die Politik kann sie auch wieder korrigieren. Sie können nicht korrigiert werden durch eine immer stärkere Ausweitung des Protests. Und schon gar nicht durch eine Verlagerung des Protests auf die Ebene der Gewalt. Die Legitimität des Protests steht und

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