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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Augstein
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keine soziale Wohnungspolitik mehr gibt, die diesen Namen noch verdient, und andererseits Wohnungen und Häuser, Immobilien insgesamt, zu Spekulationsobjekten geworden sind, hat zu einer fatalen Situation geführt, die uns über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte noch beschäftigen wird. Damals wurden die Bewohner aus den Prachtbauten aus der Gründerzeit vertrieben, um sie abzureißen und Platz für den Bau von Hochhäusern zu schaffen, in denen heute die Deutsche Bank und ironischerweise die Kreditanstalt für Wiederaufbau residieren, heute werden die Einwohner aus den Innenstädten der Großstädte gedrängt, um ihre Wohnungen in Luxusimmobilien oder Geschäftshäuser umzuwandeln. Auch hier haben Parteien und Parlamente völlig versagt. Es würde mich nicht wundern, wenn wir gerade in diesem Sektor ein starkes Anwachsen von Protesten beobachten könnten.
    A : Haben Sie selbst Gewalt erlebt?
    K : Das war unvermeidlich. In der sogenannten Folternacht vom 23. auf den 24. Februar 1974 bin ich nach der Räumung mehrerer besetzter Häuser mitten in der Nacht auf dem Frankfurter Polizeipräsidium von bewaffneten Zivilpolizisten in Handschellen gelegt und Hunderte von Metern durch unbeleuchtete Gänge gejagt worden. Andere Leute sind zusammengeschlagen worden, ein Schüler musste sogar sein eigenes Blut auflecken. Wenn man das einmal erlebt hat, dann hält man auch in einem Staat, den ich sonst so vehement verteidige, vieles für möglich. Sie können also davon ausgehen, dass ich in meinem Gedächtnis auch Erfahrungen gespeichert habe, mit denen man die Wahrnehmung des staatlichen Gewaltmonopols durchaus problematisieren könnte.
    A : Was halten Sie von der Unterscheidung zwischen Gewalt gegen Personen und gegen Sachen?
    K : Gar nichts. Hinter den vielbeschworenen »Sachen« stehen zumeist auch Personen. Aus diesem Dilemma kommen Sie nicht heraus. Ich habe mal Steine auf einen Wasserwerfer geworfen, der vergitterte Fenster hatte. Das ist leichtfertig gewesen. Auch wenn hinter oder neben dem Gefährt keine Polizisten standen, so hätte einer der Steine vielleicht doch zurückgeschleudert werden und vielleicht jemanden verletzen können.
    Diese Form der gewaltsamen Zuspitzung von Konflikten, wie wir sie verfolgt haben, war mehr als nur problematisch, sie war falsch. Ich habe das in der 68er-Bewegung erlebt, mehr noch in der Hausbesetzerbewegung und dann auch in der Anti-AKW-Bewegung oder in der gegen den Bau der Startbahn West am Frankfurter Flughafen. Es gab nicht wenig Akteure, die dachten, man könnte mit genügend Entschlossenheit den Bau eines Atomkraftwerks verhindern. Aber das war ein Irrtum. Ich habe mich in den siebziger Jahren von der Idee einer positiven gesellschaftlichen Veränderung, die durch Gewalt herbeigeführt werden kann, für immer verabschiedet.
    A : Aber Ihr Marsch auf das Reichstagsgebäude bliebe unter Umständen auch nicht ganz gewaltfrei?
    K : Dann wäre er abzulehnen! Auch eine Regelverletzung muss ohne Gewalt ablaufen. Wenn Sie auf den Reichstag marschieren, verletzen Sie möglicherweise eine Sphäre, genauer einen rechtlich definierten Raum, aber kein Objekt. Es macht einen Riesenunterschied aus, ob ich antrete, um den Reichstag plattzumachen, oder ob ich durch einen Aufmarsch meine Argumente gegenüber einem Parlament und einer Exekutive klarmachen will, die an einem Punkt offenbar systematisch versagen.
    A : Politisch ächten wir die Gewalt. Wir sind immer noch offen für den ästhetischen Aspekt der Gewalt. Warum sind wir so unempfänglich geworden für das Pathos der Revolution?
    K : Es hat bereits eine Revolution gegeben, die eine Demokratisierung der Verhältnisse eingeleitet hat.
    A : Die Französische? Stellvertretend für uns alle?
    K : Ja, nicht nur, aber in gewisser Weise schon.
    A : Und damit reicht es?
    K : Das müssten Sie beantworten. Wollen Sie auch heute noch eine Revolution? Wären Sie dafür bereit, andererseits so vieles von dem, was ich als Errungenschaften bezeichnet habe, aufs Spiel zu setzen?
    A : Gegenfrage: Wenn Leute Strommasten absägen würden und am Tatort findet man Zettel gegen den Finanzkapitalismus, dann würden diese Leute von der Polizei gejagt und von den Gerichten verurteilt, aber die Debatte über den Finanzkapitalismus würde eine andere Dringlichkeit bekommen, oder?
    K : Nein. Absolut nicht. Die gewünschten Effekte werden sich nicht einstellen. Und außerdem kann niemand die Gewalt kontrollieren. Das liegt in ihrem Wesen. Meine Idee der Regelverletzung

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