SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
Gewerkschaft Deutscher Lokführer hat 34.000 Mitglieder, die Gewerkschaft der Flugsicherung 3800 und die Vereinigung Cockpit 8800 Mitglieder. Das sind zusammen nicht mal 50.000 Arbeitnehmer. Das ist lächerlich. Und dennoch sind diese drei Gewerkschaften viel mächtiger als ihre großen Geschwister. Warum? Weil sie ihre Macht nutzen.
Lokführer, Fluglotsen und Piloten kontrollieren den Verkehr und den Transport im Land. Vor allem die Lokführer. Ein paar Handvoll Lokführer können innerhalb von Stunden die Bundesrepublik Deutschland buchstäblich lähmen. Die Bahn transportiert an einem Tag mehr Menschen als die Lufthansa im ganzen Jahr. Im Luftverkehr ist die notwendige Zahl der streikbereiten Fluglotsen sogar noch geringer. Wenn in Frankfurt und München die Männer in den Türmen streiken, ist Schluss mit Globalisierung: Die Manager können ihre Tagestrips nach London vergessen und die Urlauber ihren Ausflug nach Mallorca. Kontrolle über den Verkehr ist Kontrolle über das Land. Darum waren diese Funktionen früher in staatlicher Hand. In grauer Vorzeit hielt man alle infrastrukturellen Aufgaben für öffentliche Aufgaben. Das ist altmodisches Denken. Längst arbeiten bei Bahn und Flugaufsicht keine Beamten mehr. Das entspricht dem neoliberalen Credo der Privatisierung. Allerdings darf dann auch gestreikt werden.
Lokführer, Piloten und Fluglotsen haben von diesem Recht in der Vergangenheit umfänglich Gebrauch gemacht oder wenigstens damit gedroht. Die Öffentlichkeit treibt das jedes Mal zur Weißglut.
Ein paar Zitate?
» Wenn jede Berufsgruppe nur für sich kämpft, schadet das am Ende allen.« (»Zeit«)
» Was für unnützen Ärger sich unsere Gesellschaft doch immer wieder leistet. ... Dann würde wieder die Frage hochkommen, ob eine kleine Gruppe mit einem Streik so großen Schaden anrichten darf.« (»Welt«)
» Wieder einmal blitzt die Macht einer Berufsgruppe auf, die sich zu den sogenannten Funktionseliten zählen darf, die also über die Möglichkeit verfügt, mit minimalem Streikaufwand maximalen Schaden anzurichten.« (»Handelsblatt«)
» Wie viele Privilegien dürfen sich kleine Berufsgruppen sichern, die mit einem Ausstand weite Teile des Wirtschaftslebens lahmlegen können? Muss die Macht sogenannter Spartengewerkschaften gesetzlich beschränkt werden, wie es Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen befürwortet?« (»Spiegel«)
» Wieder nimmt die kleine Gewerkschaft der Lokomotivführer Millionen Menschen in Geiselhaft, um ihre Ziele durchzusetzen. Sie hat unbefristete Streiks beschlossen – wissend, dass die gesamte Volkswirtschaft Schaden zu nehmen droht.« (»Spiegel«)
» All diese Menschen nehmt Ihr Lokführer in Geiselhaft auf den Bahnsteigen der Geister-Bahnhöfe. Die Geiseln frieren, sie hüpfen, dass ihnen warm wird, ihre Gesichter kriegen Verzweifeltes. Sie sind Gefangene der Lokführer.
Arbeitskampf muss sein, sagt der Verstand – aber warum auf dem Rücken einer frierenden Sekretärin, der die Beine blau anlaufen. Vielleicht kriegt sie auch noch eine Bronchitis.« (»Bild«)
Dabei verhalten sich diese Gewerkschaften absolut marktkonform. Sie vertreten Arbeitnehmer, die für den Staat wichtig sind – und die sich das entsprechend bezahlen lassen wollen. Diese Gewerkschaften sorgen dafür, dass Angebot und Nachfrage in ein vernünftiges Gleichgewicht kommen. Die Gesellschaft will, dass die Züge fahren? Dann soll sie entsprechend dafür bezahlen. Es ist das Rätsel der deutschen Gewerkschaftsbewegung, warum es nur diese kleinen Verbände sind, die ihre Aufgabe ernst nehmen und sich gegen das deutsche Lohndumping stellen. Die Gesellschaft braucht ja nicht nur Lokführer. Sie braucht Krankenschwestern und Müllfahrer und Automechaniker und Callcenter-Mitarbeiter und Reinigungspersonal und Volksschullehrer und Zeitungsredakteure und Stahlarbeiter und und und ... Für all diese Berufsgruppen gilt in Wahrheit das Gleiche wie für die Lokführer: Wir können nicht auf sie verzichten. Es dauert ein bisschen länger, bis sich die Auswirkungen bemerkbar machen, wenn alle Automechaniker streiken würden. Aber nicht sehr lange.
Das Problem – siehe die Reaktionen der westdeutschen Metaller im Jahr 2003 – ist die mangelnde Solidarität der Arbeitnehmer untereinander. Diese Solidarität ist in einer kleinen, homogenen Gewerkschaft einfacher herzustellen als in einer großen heterogenen.
Die kleinen Gewerkschaften haben die
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