SACHMET - KATZENDÄMMERUNG Band 2 - Horror - Thriller
hätte mir mit Sicherheit geholfen, alle Bedenken zu zerstreuen.
Ich schob den verlockenden Gedanken allerdings schnell wieder von mir. Der morgige Tag verlangte einen klaren Kopf. Und eine Entscheidung von möglicherweise größter Tragweite wollte ich nicht in einem alkoholumnebelten Zustand treffen.
Grübelnd schlurfte ich durch die Wohnung. Als ich mich schließlich in der Küche wiederfand, zog ich spontan die Jalousien hoch und öffnete das Fenster.
Die Sonne ließ die einzelnen Backsteinmauern in einem gleißenden Rot erstrahlen. Es sah aus, als ob ein Feuer danach trachtete, das Werk der Zerstörung nun endgültig zu beenden. Ich lehnte mich auf die schmale Fensterbank. Dieses chaotische Ensemble von Mauern, Unkraut und Müll hatte tatsächlich einen gewissen Reiz. Ich beugte mich weiter hinaus und versuchte, das Bild förmlich in mich hineinzusaugen.
Vielleicht , so dachte ich, war meine Ausrede, die ich seinerzeit Donelly gegenüber geäußert hatte, gar nicht so dumm. Vielleicht eignete sich gerade diese unscheinbare, hässliche Landschaft für eine fotografische Bearbeitung.
Mir kam eine Idee. Was tat ein Fotograf, der zur Untätigkeit gezwungen auf den nächsten Auftrag wartete? Richtig, er fotografierte. Da ich bei den Model-Aufnahmen mit Kleinbildformat und Polaroid arbeiten wollte, war meine alte Hasselblad noch frei. Ich lud sie mit einem Farbfilm und postierte sie auf einem Stativ vor dem Fenster. Nach einigen Schwenks hatte ich mein Motiv gefunden und arretierte das Gerät. Mein gewählter Ausschnitt zeigte eine Backsteinruine, deren Frontwand – ähnlich einer Pyramide – fast diagonal von links oben nach rechts unten verlief. Teile der Wand waren von hohem Unkraut überwachsen. Folgte man der Diagonalen, gelangte man nach wenigen Metern zu den seltsamen Überresten des Busses. Einige noch vorhandene Chrom- und Glasteile blitzten in der Sonne. Wieder einmal würden die Bilder eines meiner Geheimnisse enthüllen, doch nur ich allein konnte sie wirklich entschlüsseln.
Ich machte diesmal allerdings recht wenige Fotos; nur einmal pro Stunde drückte ich auf den Auslöser. Währenddessen stand ich meist nur daneben und beobachtete das Wandern der Schatten. Das eigentlich alltägliche Schauspiel nahm mich den restlichen Tag über gefangen. Wie ein Angler, der auf das Zucken seiner Fliege achtete, so wartete ich darauf, bis sich ein weißliches Gelb in Orange, Zinnober und dann Karminrot verwandelte.
Als ich um 9 Uhr abends die letzte, lang belichtete Aufnahme machte, war dies erst meine neunte. Neun Aufnahmen desselben Sujets, doch jedes Bild war anders. Jede Aufnahme war aus anderen Farbklängen komponiert worden und besaß daher auch eine andere Atmosphäre. Ein hinlänglich bekanntes Phänomen. Monet hatte schon vor über hundert Jahren Bilder nach diesem Prinzip gemalt. Seine Impressionen der Kathedrale von Rouen oder aber auch von schlichten Getreideschobern oder Pappeln waren weltbekannt. Für den Vater des Impressionismus waren die Gegenstände seiner Malerei dabei eigentlich nebensächlich, im Vordergrund stand eindeutig die wandelbare Erscheinung der Farbe unter den verschiedensten Lichtverhältnissen. Von seiner Kunstauffassung und seiner Malweise her boten sich viele Berührungspunkte mit der Fotografie. Zu seiner Zeit steckte diese neue Technik noch in den Kinderschuhen; ich war mir aber sicher, dass ein Monet des späten 20. Jahrhunderts einen Fotoapparat oder eine Videokamera als Medium verwendet hätte. Doch hätte er auch ein Trümmergrundstück als Motiv gewählt? Wohl kaum, denn außer den Farbspektren lieferte dieser Gegenstand auch eine kritische Bestandsaufnahme des Zustands einer Gesellschaft. Zwei Punkte, die sich eigentlich vollkommen widersprachen. Kritischer Impressionismus? Ein Paradoxon. Vielleicht gelang es mir aber mit diesen und ähnlichen Bildern einen Gegenbeweis anzutreten.
Erst als ich die Kamera wieder abbaute, wurde mir bewusst, wie weit der Abend bereits fortgeschritten war. Ich konnte nur kopfschüttelnd grinsen. Der Fotografie war es nicht nur gelungen, einen zermürbenden Tag zu überbrücken, sie hatte mich auch gleichzeitig auf eine mögliche neue Sichtweise der Dinge hingewiesen. Vielleicht festigte sich daraus sogar ein persönlicher Stil für meine weitere künstlerische Arbeit.
Als ich wieder in den Flur kam, sah ich sofort, dass Bastet ihren Wachposten verlassen hatte. Ich versuchte aber dennoch nicht, das Büro zu betreten. Falls Ach mich
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