Sacramentum
Einfluss, doch seit der Explosion hatte Clementi nichts mehr vom Berg gehört – gar nichts –, und es war dieses Schweigen und nicht das Geschrei der Weltpresse, das ihn wirklich beunruhigte. Denn dieses Schweigen hieß, dass die gegenwärtige Krise in Trahpah auch ihn betraf.
Clementi griff über die Zeitungen hinweg nach seiner Computertastatur. Sein Posteingang quoll bereits über vom üblichen Tagesgeschäft, doch Clementi ignorierte das. Stattdessen öffnete er einen Ordner mit dem Namen TRAHPAH. Ein Passwortfenster erschien, und Clementi gab es sorgfältig ein. Er wusste, sollte er sich vertippen, würde der Rechner den Ordner sofort sperren, und dann dauerte es mindestens einen Tag, bis ein Techniker ihn wieder freigeschaltet hatte. Ein Stundenglasicon erschien, während die komplexe Verschlüsselungssoftware das Passwort verarbeitete; dann öffnete sich ein weiterer Posteingang. Er war leer – noch immer kein Wort aus der Zitadelle. Ohne Betreff schrieb Clementi:
Gibt’s was Neues?
Er klickte auf Senden und schaute zu, wie die Nachricht vom Bildschirm verschwand. Dann legte er die Zeitungen zu einem ordentlichen Stapel zusammen und ging ein paar Briefe durch, die er abzeichnen musste, während er auf die Antwortmail wartete.
Im selben Augenblick, da die Zitadelle von der Explosion erschüttert worden war, hatte Clementi die Agenten der Kirche mobilisiert und sie angewiesen, die Situation im Auge zu behalten. Er hatte die Aktiva der Zitadelle benutzt, um Distanz zu Rom zu wahren, in der Hoffnung, der Rat der Zitadelle würde sich rasch wieder erholen und mit den Aufräumarbeiten beginnen. In seinem ordentlichen Politikergeist verglich er das mit der Stationierung von Waffen, um einer Bedrohung zu begegnen. Allerdings hatte er sich nie auch nur vorstellen können, dass man irgendwann von ihm verlangen würde, sich selbst dieser Waffen zu bedienen.
Draußen hörte Clementi das Geplapper der Touristen unten auf dem Platz, die die majestätische Peterskirche bestaunten und nur wenig von dem Aufruhr wussten, der hinter ihren Mauern herrschte. Ein Geräusch wie eine Klinge auf Glas verkündete das Eintreffen einer Mail.
Noch immer nichts.
Gerüchten zufolge wird auch ein neunter Mönch sterben.
Was soll ich mit den anderen tun?
Clementis Hand schwebte über der Tastatur. Er zögerte. Vielleicht würde die Situation sich ja von selbst lösen. Wenn noch ein Mönch starb, dann blieben lediglich vier Überlebende übrig … Doch drei davon waren Zivilisten, die nicht durch ein Schweige- und Gehorsamsgelübde an die Mutter Kirche gebunden waren. Sie stellten die größte Bedrohung dar.
Clementis Blick wanderte zu dem Zeitungsstapel in der Ecke des Schreibtisches. Die Fotos auf den Titelblättern starrten ihn förmlich an – zwei Frauen und ein Mann. Normalerweise hätte die Zitadelle sich rasch und effektiv um sie gekümmert zum Schutz des seit Urzeiten in der Zitadelle bewahrten Geheimnisses. Clementi war jedoch ein römischer Kirchenmann, mehr Politiker als Priester; direktes Handeln war ihm fremd. Im Gegensatz zum Prälaten von Trahpah war er es nicht gewohnt, Todesurteile zu unterzeichnen.
Clementi stand auf und schlenderte wieder zum Fenster, als könne er sich so von der Entscheidung distanzieren.
Im Laufe der letzten Woche waren Lebenszeichen in der Zitadelle zu sehen gewesen: Kerzen waren hinter einigen der hohen Fenster vorbeigetragen worden, und Rauch war aus den Kaminen aufgestiegen. Früher oder später würden sie ihr Schweigen brechen und sich der Welt stellen müssen. Sie hatten sich den Schlamassel selber eingebrockt, und nun mussten sie auch wieder aufräumen. Bis dahin musste Clementi Geduld bewahren, eine möglichst weiße Weste behalten und sich auf die Zukunft der Kirche sowie die wahren Gefahren konzentrieren, die ihr drohten – Gefahren, die nichts mit Trahpah oder den Geheimnissen der Vergangenheit zu tun hatten.
Clementi griff gerade nach der Zigarettenpackung auf der Fensterbank, um seinen Entschluss mit der sechsten Zigarette des Tages zu besiegeln, als plötzlich draußen Schritte auf dem Marmor zu hören waren. Irgendjemand war auf dem Weg zu ihm, und dieser jemand lief viel zu schnell, als dass es sich um einen Routinebesuch handeln könnte. Kurz darauf klopfte es an der Tür, und das verkniffene Gesicht von Bischof Schneider erschien.
»Was ist?« Clementi klang verärgerter, als er beabsichtigt hatte. Schneider war sein Privatsekretär, ein Karrierebischof, der sich
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