Sacramentum
irgendwie nie die Finger verbrannte, obwohl er mitten im glühend heißen Herz der Macht arbeitete. Seine Effizienz war tadellos, und dennoch wurde Clementi nicht warm mit ihm. Heute jedoch war nichts von Schneiders aalglatter Fassade zu sehen.
»Sie sind hier«, verkündete er.
»Wer ist hier?«
Doch eine Antwort war nicht nötig. Schneiders Gesicht verriet Clementi alles, was er wissen musste.
Clementi schnappte sich seine Zigaretten und steckte sie in die Tasche. Er wusste, dass er das Päckchen in den nächsten Stunden vermutlich rauchen würde.
3
Trahpah, im Süden der Türkei
Der Regen fiel wie ein Schleier aus dem grauen Himmel und ließ die Luft in der abklingenden Hitze des späten Tages wabern. Er fiel aus Wolken hoch über dem Taurusgebirge, die langsam Richtung Osten trieben, über die Gletscher hinweg und zu der uralten Stadt Trahpah an den zerklüfteten Ausläufern der hohen Berge. Der spitze Gipfel der Zitadelle ragte aus der Mitte der Stadt heraus, und Regen lief die steilen Hänge hinab und in den trockenen Graben zu ihren Füßen.
In der Altstadt kämpften sich Touristen die schmalen Gassen zur Zitadelle hinauf. Sie rutschten auf dem nassen Pflaster aus und schützten sich mit Ponchos, die sie in den Souvenirläden gekauft hatten und die vage an die Soutanen der Mönche erinnerten. Einige machten nur Sightseeing. Sie hakten die Zitadelle einfach auf ihrer Liste von Sehenswürdigkeiten ab. Doch andere hatten diese Reise aus traditionelleren Gründen unternommen. Sie waren Pilger, die hofften, hier ihren Seelenfrieden zu finden, und aufgrund der Ereignisse hatte deren Zahl in letzter Zeit noch zugenommen. Dazu kam, dass es in den vergangenen Tagen weltweit zu gleich mehreren ungewöhnlichen Naturkatastrophen gekommen war: Erdbeben in Ländern, die allgemein als stabil galten; Flutwellen in Ländern, die über keinen Schutz davor verfügten, und Wetterphänomene, die nicht zur Jahreszeit passen wollten, wie auch dieser dichte, kalte Regen im türkischen Spätfrühling.
Die Menschen stiegen weiter den rutschigen Weg hinauf; doch oben erwartete sie nicht der ehrfurchtgebietende Anblick der Zitadelle, sondern nur andere enttäuschte Touristen, die in den Nebel und zu der Stelle starrten, wo der Berg sein musste. Langsam arbeiteten sie sich durch den Schleier vor, vorbei an dem Ort, wo verwelkte Blumen die Absturzstelle des Mönches markierten, und bis zu dem breiten Wall des Grabens. Hier war ihre Reise dann vorbei.
Jenseits des Walles wiegte sich sanft Gras im Wind, wo einst Wasser geflossen war, und dahinter – kaum sichtbar in der nebeligen Nacht – lag der Fuß des Berges. Sein gewaltiger Schatten wirkte auf den Betrachter wie die Silhouette eines riesigen Schiffes, das durch den Nebel unaufhaltsam auf ein Ruderboot zuhielt. An diesem Punkt machten die meisten Touristen rasch kehrt und suchten Zuflucht in einem der zahlreichen Souvenirläden oder Cafés entlang des Grabens. Doch ein paar Geduldige blieben. Sie stiegen auf den niedrigen Wall und beteten: Sie beteten für die Kirche, für den finsteren Berg und für die stummen Männer, die dort schon immer gelebt hatten.
*
Im Inneren der Zitadelle herrschte vollkommene Stille.
Niemand bewegte sich durch die Tunnel. Niemand arbeitete. Die Küche war genauso leer wie der Krater im Herz des Berges. Zusammengeräumte Trümmer und Stützbalken verrieten, wo die Tunnel repariert worden waren, doch diejenigen, die das getan hatten, waren inzwischen weitergezogen. Die Schleuse, die in die große Bibliothek führte, blieb geschlossen, denn nach der Explosion war die Stromversorgung zusammengebrochen und damit auch die Klimaanlage sowie die Sicherheitssysteme im Gewölbe. Gerüchten zufolge wurde die Bibliothek bald wieder geöffnet, doch niemand wusste wann.
Andernorts fanden sich Hinweise darauf, dass der Berg wieder zur Normalität zurückkehrte. In den meisten Arealen war die Stromversorgung wiederhergestellt, und in den Dormitorien waren Gebets- und Studienpläne aufgehangen worden. Am wichtigsten war jedoch, dass man eine Totenmesse organisiert hatte, um den Prälaten sowie den Abt zur Ruhe zu betten, deren Tod den Berg in ein führerloses Chaos gestürzt hatte, wie es noch nie da gewesen war. Jeder Mann im Berg war nun auf dem Weg dorthin, um den Toten die letzte Ehre zu erweisen.
Oder besser … fast jeder Mann.
*
Hoch oben im Berg, in dem Teil, den nur die Sancti betreten durften, die grün gewandeten Hüter des Sakraments, näherte
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