Saeculum
Gesicht, als der Wind einen Schwall Gestank von der Latrine herwehte. Bastian hatte sie vorhin benutzt, weil es nicht mehr zu vermeiden gewesen war, doch der Geruch, den sie schon nach einem knappen Tag verströmte, war unbeschreiblich. Immerhin hatten die Fliegen jetzt ein neues Lieblingsziel.
Im Gegensatz zu Bastian selbst. Er fühlte sich so nutzlos, dass er hätte schreien können. Nicht weit entfernt saß Lisbeth, die endlich die Suche nach ihrem Medaillon aufgegeben hatte. Er überlegte kurz, zu ihr zu gehen und sie aufzumuntern, ließ es dann aber bleiben. Er war vermutlich der Falsche dafür.
Um sich auf irgendeine Weise sinnvoll zu beschäftigen, begann er, seine nassen Habseligkeiten in die Sonne zu legen, damit sie trockneten. Hemden und Hosen waren schnell ausgebreitet, der blättergefüllte Leinensack machte mehr Arbeit. Bastian krempelte ihn um, schüttelte den feuchten, zu Klumpen verklebten Inhalt heraus und rümpfte angesichts des muffigen Geruchs die Nase. Was sich nicht von selbst vom rauen Stoff löste, schabte er mit seinem Schwert ab - endlich war es mal zu etwas gut.
Danach war er durstig. Der Brei lag ihm steinschwer im Magen. Trinkschlauch auffüllen, dachte er. Wenn ich nur nicht so müde wäre.
Er kämpfte sich zum Bach, blieb aber einige Meter davor abrupt stehen, denn dort kniete eine halb nackte Gestalt und wusch sich. Ein Mädchen. Iris. Sie hatte sich so weit vorgebeugt, dass man nur ihren bloßen Rücken sah, ihr Kopf war zur Hälfte ins gurgelnde Wasser getaucht und sie rubbelte mit beiden Händen ihr Haar. Ihre Bluse und den breiten Gürtel hatte sie auf einem nahen Baumstumpf deponiert, an dem auch die Harfentasche lehnte.
Iris hatte ihn noch nicht bemerkt und mit einem Mal kam Bastian sich vor wie ein Spanner. Er würde umkehren und in ein paar Minuten wiederkommen und dabei möglichst viel Lärm machen. Nur musste er sich vorher noch vom Anblick ihrer Schultern losreißen, die wie gemeißelt aussahen, als gehörten sie zu einer Statue aus elfenbeinfarbenem Marmor. Marmor mit einem Sprung, einer roten Linie, die sich in einem unregelmäßigen Schwung über ihr linkes Schulterblatt zog. Woher hatte Iris eine solche Narbe? Er trat einen Schritt zurück mit dem Gefühl, etwas sehr Intimes entdeckt zu haben.
Plötzlich fürchtete er, sie würde sich aufrichten, ihn hier stehen sehen und völlig falsche Schlüsse ziehen. Er machte kehrt, lief ein paar Meter durch das kniehohe Gebüsch und vergewisserte sich, dass er außer Sichtweite war. Fünf Minuten, dann musste sie wohl fertig sein. Er wartete und fühlte, wie der Brei in seinem Magen sich langsam in Beton zu verwandeln begann.
Beim Rückweg zum Bach trat er auf jeden Ast, der zu finden war, zusätzlich sang er. Laut und falsch. Iris musste ihn einfach kommen hören und zu seiner Erleichterung winkte sie ihm schon zu, kaum, dass er sie zu Gesicht bekam. Sie trug wieder ihre Bluse und kämmte sich das nasse Haar mit den Fingern.
»Na, Tomen, mein grünlicher Freund? Was hat Euch die Farbe aus dem Gesicht getrieben?«
»Kunos Getreideleim. Ich störe nicht gern, aber ich brauche dringend etwas zu trinken.«
»Dann seid mein Gast!« Sie wies mit beiden Händen auf den Bach. »Drei Schlucke und Kunos Brei quillt in Eurem Bauch zur doppelten Menge auf.«
Sie sah seinen Gesichtsausdruck und brach in ein Gelächter aus, das hell und rau gleichzeitig war. »Nein, keine Sorge. Wasser hilft.«
Bastian beugte sich vor und trank, bis er sich besser fühlte. Als er wieder aufsah, hatte Iris ihre Harfe auf den Knien und strich mit den Fingern der Länge nach an den Saiten auf und ab. Sie atmete tief ein und begann, eine Melodie zu spielen, die Bastian binnen Sekunden mit allen Unannehmlichkeiten dieses Abenteuers versöhnte. Nach wenigen Takten hatte der Wald seine Bedrohlichkeit verloren und sich in einen magischen Ort verwandelt.
»Was ist das?«, fragte Bastian, als das Stück zu Ende war.
»Es heißt Planxty Drew. Stammt von Turlough O'Carolan, einem blinden irischen Harfenspieler. 17. Jahrhundert, nicht Mittelalter, aber davon versteht hier ohnehin keiner was.« Sie streichelte wieder über die Saiten. » Planxty Drew war … ist Warzes Lieblingsstück. Er wünscht es sich jedes Mal, wenn ich spiele. Ich dachte -« Sie stockte, sah über die Schulter in den Wald hinein, wo trotz strahlenden Sonnenscheins Zwielicht herrschte. »Ich dachte, er hört es vielleicht.«
Sie fing noch einmal von vorne an, spielte mit geschlossenen
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