Saeculum
Bogen fort. »Er kann sich noch nicht damit abfinden, dass es diesmal nicht so läuft, wie er es erwartet hat.« Sie sah Bastian direkt in die Augen. »Ich verstehe ihn. Und er wird sich auch wieder einkriegen, gib ihm Zeit.«
»Schon gut. Sorry. Aber mir wird übel, wenn ich mir vorstelle, was alles passiert sein kann.«
»Ja.« Iris rieb sich die Schläfen, während sie zu Ralf hinübersah, der Roderick so heftig am Bauch kraulte, dass der Hund fiepte und wie wild mit einem Hinterbein zuckte. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir kein Zeichen von Warze gefunden haben, außer diesem Halsring. Obwohl wir Lars dabeihatten. Der findet normalerweise alles. Spurenlesen ist eines seiner Hobbys.« Sie dachte kurz nach. »Aber nach dem Regen letzte Nacht … Ich glaube, der hat keine Spuren übrig gelassen.« Iris sah sich um, sah hinüber zu Ralf, dann zum Waldrand. »Wo steckt Lars eigentlich? Er ist neben dir gegangen, oder?«
»Ja. Wir haben uns am Ende getrennt. Aber mittlerweile müsste er längst raus sein aus dem Wald.« Bastian blickte ebenfalls um sich, auch wenn er die anderen nur als unscharfe Gestalten wahrnahm.
Da drüben waren bloß Alma, der wortkarge Arno und Ralf. Im Schatten der Bäume Sandra und Lisbeth. Georg kroch durchs Gras, allein. Bei den Gräbern hockten Doro und Nathan, während Steinchen sich wieder an der Feuerstelle zu schaffen machte. Kein Lars.
»Vielleicht hat er wirklich etwas gefunden und ich habe ihn bloß nicht pfeifen gehört!« Bastian sprang auf und steuerte auf den Wald zu, Iris dicht hinter ihm.
Sie legten die Entfernung bis zum Waldrand im Laufschritt zurück, ignorierten Steinchens Wartet-doch-Rufe und tauchten wieder in die Kühle des Waldes ein. Es fiel Bastian nicht schwer, die Stelle zu finden, an der er Lars zuletzt gesehen hatte.
»Lars? He, Lars! Wo steckst du?«
Die Fliegen summten Bastian spöttisch ins Ohr.
»Lars! Heeeey! Lars!«
Nichts.
In Iris' Gesicht las Bastian die gleiche Ratlosigkeit, die ihn selbst erfüllte.
Sie trennten sich, um den Felsen von beiden Seiten absuchen zu können. Gern ließ er Iris nicht aus den Augen, aus Angst, sie könnte auch verschwinden, sobald er sie nicht mehr im Blickfeld hatte. Doch Iris ließ sich nicht beirren.
»Ich schreie wie am Spieß, sobald mir etwas verdächtig vorkommt, gut? Und du tust dasselbe.«
Immerhin hörte er ihre Schritte, die brechenden Äste, das raschelnde Laub auf der anderen Seite des Felsens. Er selbst machte ähnlich viel Lärm, als er sich wieder durch dichtes Gebüsch und tief hängendes Geäst schlug. Um besser sehen zu können, kniff er die Augen zusammen, bis sie beinah tränten, bog Büsche auseinander und spähte ins Unterholz, aber ohne großen Erfolg. Iris war es nicht besser ergangen.
»Lars?« Sie begannen wieder zu rufen.
»Vielleicht hat er kehrtgemacht. Ist noch mal zum See«, überlegte Iris. »Zu Paul. Die beiden sind dicke Freunde.«
»Ich weiß nicht. Eigentlich hatte er Hunger und wollte schnell zurück ins Lager.«
Bastian lief einige Schritte weiter, wollte noch einmal nach Lars rufen, doch der Name blieb ihm im Hals stecken. Er bückte sich.
»Hast du etwas gefunden? Eine Spur?«
Wortlos hielt er den Speer hoch.
Iris kam näher. »Ja, das ist seiner. Dann kann Lars nicht weit weg sein, den lässt er doch nie aus den Augen.«
»Lars!«, schrie Bastian. »Antworte, wenn du mich hörst!«
Sie lauschten, horchten nach Schritten oder Rufen. Nichts.
»Wieso wirft er den Speer einfach weg?«
»Möglich, dass er plötzlich etwas gesehen hat und erschrocken ist. Dass er weggerannt ist.«, antwortete Iris leise. Sie ging ein Stück weiter, den Blick konzentriert auf den Boden gerichtet.
Aber hier ist doch niemand, vor dem man fliehen müsste. Nachdenklich untersuchte Bastian die Stelle, an der er den Speer gefunden hatte. Da steckte etwas in der Erde, wie ein kleines Holzschild … Er zog es heraus. Es sah nicht ganz so verwittert aus wie die beiden, die sie bisher gefunden hatten, doch davon abgesehen war die Ähnlichkeit nicht zu verleugnen. Der rostrote Falke breitete seine Schwingen über einer weiteren gereimten Nachricht aus. Bastian entzifferte mühsam die blassen Buchstaben.
Ich weiß, wer dir folgt,
und ich weiß, wen du fliehst.
Das solltest du bedenken.
Er ist dir auch nahe,
wenn du ihn nicht siehst,
und möchte dir etwas schenken.
Mit hochgezogenen Augenbrauen drehte Bastian die Rinde zwischen den Fingern hin und her. Menschen verschwanden und
Weitere Kostenlose Bücher