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Saeculum

Titel: Saeculum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poznanski Ursula
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haben den Fluch geweckt und nun müssen wir die Folgen tragen.«
    Doros Aufmachung, ihre Art zu sprechen und ihr durchdringender Blick ließen das Gesagte im ersten Moment möglich erscheinen, sogar in Bastians Vorstellung. Dann siegte umgehend der gesunde Menschenverstand.
    »Du redest nicht ernsthaft von Geistern, oder?« Er kramte in seiner Gürteltasche nach dem Rindenstück, das er am Vormittag gefunden hatte, und hielt es ihr entgegen. »Gut möglich, dass hier außer uns noch jemand ist, aber es ist ganz sicher kein Gespenst.«
    Doro las, wobei sie stumm die Lippen bewegte. Langsam hob sie ihren Blick und sah Bastian an. »Du liest es, aber du verstehst es nicht. ›Ich weiß, wer dir folgt, und ich weiß, wen du fliehst …‹ Wovon sollte hier die Rede sein, wenn nicht von Tristrams Fluch? Er hat uns in seinen Fängen, von Minute zu Minute gewinnt er an Kraft, und wir können nicht vor ihm davonlaufen.«
    Paul streckte die Hand aus. »Darf ich mal sehen?«
    Er las die Botschaft, runzelte die Brauen und gab die Rinde an Georg weiter. Einer nach dem anderen las den Vers. Schulterzuckend. Kopfschüttelnd.
    »Niemand eine Ahnung, was das bedeuten könnte?«
    Bastians Blick glitt automatisch zu Iris, die ihn nicht erwiderte, sondern starr zu Boden sah.
    »Ich habe eben erklärt, was es bedeutet«, entgegnete Doro. »Es ist eine Nachricht vom Herrn dieser Hügel, der in den Schatten lauert, seit wir seinen Fluch wieder erweckt haben. Von ihm und seinem Gefolge, das nachts aus der Blutgruft steigt.«
    Unheimlich waren nicht Doros Worte, sondern die Tatsache, dass keiner darüber lachte. Sie mussten alle schon mit den Nerven ziemlich runter sein.
    »Ist ja interessant«, sagte Bastian und legte so viel Ironie wie möglich in seine Stimme. »Wann waren wir denn so ungeschickt, diesen Fluch zu aktivieren? Was haben wir falsch gemacht? Sind wir auf einen verzauberten Stein getreten? Oder habe ich die Latrine in verwunschene Erde gegraben?«
    Er sah Iris schief grinsen, ebenso wie Steinchen. Doro senkte ihren Blick und sofort bedauerte er, sie so bloßgestellt zu haben, doch er hatte nun mal eine echte Allergie gegen abergläubisches Geschwätz dieser Art.
    »Tut mir leid«, sagte er und versuchte, einen versöhnlichen Ton anzuschlagen. »Aber du siehst sicher ein, dass da die Fantasie mit dir durchgeht.« Oder du siehst es eben nicht ein, schließlich tanzt du auch bei Gewitter auf Felsen. Er schob den Gedanken fort. »Das ist nur eine Sage, nichts weiter. Nach allem, was derzeit passiert, finde ich es nicht gut, wenn du versuchst, die anderen noch mehr zu beunruhigen.«
    »Und warum passiert uns das? Du erinnerst dich nicht an den Inhalt des Fluchs, denke ich.« Doro sah ihm in die Augen, ohne zu blinzeln. »Alle, die mein Reich betreten, lasse ich nicht mehr fort. Ihre Haut wird sich vom Fleisch lösen, der Erdboden wird sie verschlingen. Die Toten werden aus ihren Gräbern steigen, und ihre Schreie werden euch verzweifeln lassen. - Von Warze weit und breit keine Spur, er ist buchstäblich wie vom Erdboden verschluckt! Habt ihr das offene Grab vergessen? Warten wir also auf schwere Verletzungen, Maden in den Vorräten und darauf, dass wir allmählich weniger werden. Zwei sind schon fort. Morgen sind es wahrscheinlich drei oder vier.«
    »Doro!« Pauls scharfe Stimme unterbrach ihre Rede. »Es ist nicht nötig, dass du uns mit deinen Schauergeschichten noch zusätzlich aus dem Konzept bringst.«
    »Aber wenn sie recht hat«, flüsterte Ralf. »Dann kommen wir nicht mehr hier weg, oder?« Seine Unterlippe zitterte wie die eines Kindes, das gleich in Tränen ausbricht. Es war wohl das Zittern, das Bastian erstmals Mitleid mit dem kleinen, runden, enttäuschten Ralf in seinem Kettenhemd verspüren ließ, der so sichtlich niedergeschlagen darüber war, dass seine Vorstellungen von fünf Spieltagen als mittelalterlicher Fürst über den Haufen geworfen wurden. Nun hatte man ihm auch noch Angst gemacht. »Ich habe einmal etwas von einem verfluchten Haus gelesen, das niemanden mehr hinausgelassen hat, es hat die Leute getötet wie eine Mausefalle.«
    »Halt den Mund.« Paul brachte ihn mit drei harten Worten zum Schweigen.
    Wie schon heute Morgen rief Pauls plötzliche Grobheit bei Bastian eine Verstimmung hervor, die er sich nicht erklären konnte. Unsere Nerven sind im Eimer, das ist es.
    »Lasst uns doch mal zusammenfassen«, sagte er. »Warze und Lars sind verschwunden; Lars praktisch vor meinen eigenen Augen. Das

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