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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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gebracht.
    STEPAN
    Oh nein, so einfach ist es nicht! Ich will unfruchtbar und einsam bleiben! Das wird denen zeigen, was sie verloren haben. Ein wandelnder Vorwurf will ich sein!
    WARWARA
    Wenn Sie das wollen, müssen Sie weniger im Bett liegen.
    STEPAN
    Wie bitte?
    WARWARA
    Ja, ein wandelnder Vorwurf darf nicht liegen.
    STEPAN
    Egal, ob im Stehen oder im Liegen, es kommt darauf an, eine Idee zu verkörpern. Übrigens handele ich, ich handele, und zwar immer meinen Prinzipien gemäß. Gerade diese Woche habe ich wieder einen Protest unterschrieben.
    WARWARA
    Wogegen?
    STEPAN
    Ich weiß nicht mehr. Es war … was soll’s, ich habe es vergessen. Es war wichtig zu protestieren, fertig. Ah! Zu meiner Zeit war alles anders. Ich arbeitete jeden Tag zwölf Stunden …
    WARWARA
    Fünf oder sechs hätten genügt.
    STEPAN
    Ich lief in die Bibliotheken und machte bergeweise Notizen. Damals hatten wir noch Hoffnungen! Wir diskutierten bis zum Morgengrauen, wir bauten die Zukunft auf! Ha! Was waren wir tapfer, hart wie Stahl, unverrückbar wie Fels! Das waren wahrhaft hellenische Nächte: Musik, spanische Weisen, Menschheitsliebe, die Sixtinische Madonna … Oh meine edle, treue Freundin, wissen Sie überhaupt, wissen Sie, was ich verloren habe?
    WARWARA
    Nein. (Steht auf) Aber ich weiß, dass Sie nicht jeden Tag zwölf Stunden arbeiten konnten, wenn sie bis zum Morgen geplaudert hatten. Das ist doch sowieso alles nur Gerede! Sie wissen, dass sich mein Sohn Nikolai endlich angesagt hat … Ich habe mit Ihnen zu reden.
    ( GRIGOREJEW steht auf und küsst ihr die Hand.)
    Sehr gut, mein Freund, Sie sind diskret. Warten Sie kurz im Garten, Sie können gleich wieder hereinkommen.
    ( GRIGOREJEW geht hinaus.)
    STEPAN
    Welch ein Glück, edle Freundin, unseren Nikolai wiederzusehen!
    WARWARA
    Ja, ich bin sehr glücklich. Er ist mein Ein und Alles. Aber ich mache mir Sorgen.
    STEPAN
    Sorgen?
    WARWARA
    Ja, spielen Sie nicht die Barmherzige Schwester, ich mache mir Sorgen. Oh – seit wann tragen Sie denn rote Krawatten?
    STEPAN
    Nur heute … also ich …
    WARWARA
    Das passt aber nicht zu Ihrem Alter, will mir scheinen. Wo war ich noch gleich? Ja, ich mache mir Sorgen. Sie wissen nur zu gut, weswegen. All diese Gerüchte … Ich will ihnen keinen Glauben schenken, aber sie lassen mir keine Ruhe. Ausschweifung, Gewalt, Duelle, er beleidigt alle Welt, er verkehrt mit dem Abschaum der Gesellschaft! Absurd, absurd! Aber – was ist, wenn das alles stimmt?
    STEPAN
    Das ist nicht möglich. Erinnern Sie sich, was für ein verträumtes, zartes Kind er war, so wunderschön melancholisch. Einzig eine erlesene Seele vermag solche Traurigkeit zu empfinden, ich weiß, wovon ich rede!
    WARWARA
    Sie vergessen, er ist kein Kind mehr.
    [ STEPAN
    Aber er ist von schwacher Gesundheit. Erinnern Sie sich: Er weinte ganze Nächte hindurch. Können Sie sich da vorstellen, dass er Männer zum Zweikampf zwingt?
    WARWARA
    Er war keineswegs schwächlich, wie kommen Sie darauf? Er war nur leicht erregbar, das ist alles. Aber Sie mussten ihn, den Zwölfjährigen, unbedingt mitten in der Nacht wecken, um ihm Ihr Unglück zu klagen. So ein Erzieher waren Sie.
    STEPAN
    Der kleine Engel liebte mich, er wollte, dass ich ihm alles erzähle, und dann weinte er in meinen Armen.
    WARWARA
    Der Engel hat sich verändert. Es heißt, ich würde ihn nicht wiedererkennen, er sei von außergewöhnlicher Körperkraft.]
    STEPAN
    Was schreibt er denn in seinen Briefen?
    WARWARA
    Er schreibt selten und kurz, aber immer respektvoll.
    STEPAN
    Da sehen Sie’s.
    WARWARA
    Nichts sehe ich. Sie sollten sich abgewöhnen, zu reden, ohne etwas zu sagen. Außerdem gibt es Tatsachen. Ist er jetzt oder ist er nicht degradiert worden, weil er einen anderen Offizier im Duell schwer verletzt hat?
    STEPAN
    Das ist kein Verbrechen. Das Feuer seines edlen Blutes hat ihn mitgerissen. All das ist sehr ritterlich.
    WARWARA
    Oh gewiss. Weniger ritterlich ist es hingegen, wenn man sich in den verrufensten Vierteln von Sankt Petersburg herumtreibt, in Gesellschaft von Gaunern und Trunkenbolden.
    STEPAN (lacht)
    Ha! Ha! Ganz der junge Prinz Harry!
    WARWARA
    Was soll das wieder sein?
    STEPAN
    Das steht bei Shakespeare, edle Freundin, beim unsterblichen Shakespeare, dem Kaiser aller Genies, kurz und gut, beim großen Will, der uns zeigt, wie Prinz Harry zusammen mit Falstaff ein ausschweifendes Leben genießt.
    WARWARA
    Ich werde das Stück mal wieder lesen. Da fällt mir ein, wie steht es um Ihre

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