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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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körperliche Ertüchtigung? Sie wissen genau, dass Sie jeden Tag sechs Werst zu Fuß gehen sollen. Nun gut. Ich habe Nikolai jedenfalls gebeten zurückzukommen. Sie werden herausfinden, was für Pläne er hat. Ich möchte ihn hierbehalten und verheiraten.
    STEPAN
    Ihn verheiraten! Wie romantisch! Haben Sie schon jemanden im Auge?
    WARWARA
    Ja, ich denke an Lisa, die Tochter meiner Freundin Praskowja Drosdowa. Sie sind gerade mit meinem Mündel Dascha in der Schweiz … Aber was geht Sie das eigentlich an?
    STEPAN
    Ich liebe Nikolai wie meinen eigenen Sohn.
    WARWARA
    Also nicht besonders. Sie haben Ihren Sohn nur zweimal gesehen, den Tag seiner Geburt mit eingerechnet.
    STEPAN
    Seine Tanten haben ihn aufgezogen, ich habe ihm immer die Einkünfte aus dem kleinen Gut überwiesen, das seine Mutter ihm hinterlassen hat, und mein Herz litt unter dieser Trennung. Außerdem ist er eine taube Nuss, arm an Geist und Herz. Wenn Sie die Briefe lesen würden, die er mir schreibt! Als würde er mit einem Dienstboten sprechen. Ich habe ihn aus tiefstem Vaterherzen gebeten, mich zu besuchen, und wissen Sie, was er geantwortet hat? «Wenn ich zurückkomme, dann nur, um abzurechnen – in jeder Beziehung!»
    WARWARA
    Sie sollten endlich lernen, sich Respekt zu verschaffen. Nun gut, ich lasse Sie allein. Es ist Zeit für Ihre Runde. Ihre Freunde, liederliche Reden, Karten, Atheismus, und vor allem dieser Geruch, dieser Gestank nach Tabak und Männern … Ich gehe. Trinken Sie nicht zu viel, sonst haben Sie hinterher wieder Ihr Bauchweh. (Schaut ihn an, zieht die Schultern hoch) Eine rote Krawatte!
    (Sie geht ab.)
    STEPAN (schaut ihr nach, stottert etwas, sieht zum Schreibtisch)
    Oh grausame, unerbittliche Frau! Und ich kann nicht mit ihr reden! Ich werde ihr schreiben, ihr schreiben!
    (Er geht zum Tisch.)
    WARWARA (erscheint wieder)
    Und bitte hören Sie auf, mir zu schreiben. Wir wohnen unter einem Dach, es ist lächerlich, wenn wir Briefe wechseln. Ihre Freunde kommen.
    (Sie geht ab. GRIGOREJEW , LIPUTIN und SCHIGALEW kommen herein.)
    STEPAN
    Guten Tag, mein lieber Liputin, guten Tag. Verzeihen Sie, dass ich so erregt bin … Ich werde gehasst … Ja, buchstäblich. Aber was soll’s! Ihre Frau begleitet Sie nicht?
    LIPUTIN
    Nein. Frauen sollen zu Hause bleiben und Gott fürchten.
    STEPAN
    Ich dachte, Sie sind Atheist?
    LIPUTIN
    Ja. Psst! Sagen Sie das nicht so laut. Eben darum. Ein atheistischer Ehemann muss seine Frau zur Gottesfurcht erziehen. Das befreit ihn noch mehr. Sehen Sie sich unseren Freund Wirginski an. Ich habe ihn gerade getroffen, er musste selber einkaufen gehen, denn seine Frau war bei Hauptmann Lebjadkin.
    STEPAN
    Ja, ja, ich weiß, was die Leute erzählen. Aber es stimmt nicht. Seine Frau hat ein edles Wesen. Wie übrigens alle Frauen.
    LIPUTIN
    Wie, es stimmt nicht? Ich habe es von Wirginski selbst. Er hat seine Frau zu unseren Vorstellungen bekehrt. Er hat ihr gezeigt, dass der Mensch frei ist oder es zumindest sein sollte. Gut, sie hat sich erst befreit und dann Wirginski klargemacht, dass sie ihn als Ehemann absetzt und an seiner statt den Hauptmann Lebjadkin erwählt. Und wissen Sie, was Wirginski zu seiner Frau sagte, als sie ihm die Neuigkeit mitteilte? Er hat gesagt: «Meine Freundin, bisher habe ich für dich nur Liebe empfunden, jetzt auch Respekt.»
    STEPAN
    Ein echter Römer!
    GRIGOREJEW
    Mir wurde im Gegenteil erzählt, als sie ihm seine Absetzung mitteilte, sei er in Tränen ausgebrochen.
    STEPAN
    Ja, ja, er hat ein zartes Gemüt.
    ( SCHATOW tritt ein.)
    Da ist ja auch unser Freund Schatow. Gibt es Neuigkeiten von Ihrer Schwester?
    SCHATOW
    Dascha wird nach Hause kommen. Da Sie fragen: Sie langweilt sich in der Schweiz mit Praskowja Drosdowa und Lisa. Ich erzähle Ihnen das, obwohl es Sie meiner Meinung nach nichts angeht.
    STEPAN
    Freilich. Aber sie kommt nach Hause, das ist das Wichtigste. Ach! Sehen Sie, meine Freunde, man kann eben nicht fern von Russland leben …
    LIPUTIN
    In Russland auch nicht. Man braucht etwas anderes, aber das gibt es noch nicht.
    STEPAN
    Was tun?
    LIPUTIN
    Alles anders machen.
    SCHIGALEW
    Ja, aber Sie ziehen nicht die Konsequenzen daraus.
    ( SCHATOW hat sich missmutig gesetzt und seine Kappe neben sich gelegt. Nun tritt WIRGINSKI ein, gefolgt von GAGANOW .)
    STEPAN
    Guten Tag, mein lieber Wirginski. Wie geht es Ihrer Frau …
    ( WIRGINSKI wendet sich ab.)
    Nun, wir mögen Sie gern, lieber Freund, wirklich sehr gern.
    GAGANOW
    Ich bin zufällig vorbeigekommen und

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