Saemtliche Dramen
Begeisterung, diese blinde Großzügigkeit, mit der man alles verteidigt, das schwach ist, gebrechlich, vielleicht sogar unwürdig … (sieht zu STEPAN TROFIMOWITSCH hin) , mit der man jahrelang einem solchen Geschöpf beisteht, ganz meine Art! Oh, ich muss bei Nikolai Abbitte leisten. Und diese arme Frau adoptiere ich ganz einfach.
PJOTR
Daran würden Sie gut tun, denn ihr Bruder quält sie. Er bildet sich ein, er hätte das Recht, über ihre Rente zu verfügen. Und nicht nur, dass er sie schlägt und ihr ihren Besitz nimmt, er trinkt, er kommt ihrem Wohltäter frech und droht, ihn vor Gericht zu zerren, wenn die Rente nicht direkt an ihn gezahlt wird. Kurz, er stellt Nikolais Hilfe, seine freiwillig geleistete Hilfe als eine Art Tribut hin, stellen Sie sich das vor!
LISA
Tribut wofür?
PJOTR
Ja, das weiß ich nicht! Er führt die Ehre seiner Schwester, seiner Familie im Mund. Ehre ist ein ausgesprochen schwammiger Begriff, das wissen wir alle.
SCHATOW
Wirklich? (Alle sehen ihn an.) Dascha, findest du das auch? (Sie sieht ihn an.) Antworte mir.
DASCHA
Nein, mein Bruder, es gibt eine Ehre.
( NIKOLAI STAWROGIN tritt ein. WARWARA steht auf und geht ihm rasch entgegen.)
WARWARA
Ach, Nikolai, wirst du mir verzeihen?
STAWROGIN
Mir muss verziehen werden, Mutter. Ich hätte Ihnen das alles erklären sollen. Aber ich war sicher, dass Pjotr Werchowenski das übernehmen würde.
WARWARA
Ja, das hat er getan. Ich freue mich so … Du hast ritterlich gehandelt.
STEPAN
Großartig wäre das treffende Wort!
STAWROGIN
Ritterlich, ja wirklich! So sehen Sie die Dinge. Das Kompliment verdanke ich wohl Pjotr Werchowenski. Glauben Sie ihm, Mutter. Er lügt nur unter außergewöhnlichen Umständen. ( PJOTR und er sehen sich an und lächeln.) Gut, ich bitte nochmals um Verzeihung für mein Verhalten. (Hart und trocken) Jedenfalls ist die Sache jetzt bereinigt. Ein für alle Mal.
( LISA bricht in Lachen aus, das immer verrückter wird.)
Guten Tag, Lisa. Ich hoffe, es geht Ihnen gut.
LISA
Entschuldigen Sie bitte. Sie kennen sicher Mawriki Nikolajewitsch? Mein Gott, Mawriki, wie kann man nur so groß sein?
MAWRIKI
Ich verstehe nicht.
LISA
Ach, nichts … ich dachte gerade … Stellen Sie sich vor, ich wäre ein Krüppel, dann würden Sie mich durch die Straßen führen, wären ritterlich, nicht wahr, Sie würden sich für mich aufopfern?
MAWRIKI
Gewiss, Lisa. Aber warum denken Sie über so ein Unglück nach?
LISA
Ganz sicher wären Sie ritterlich. Nun gut! Sie mit Ihrer Größe und daneben ich ein wenig krumm, was wären wir für ein lachhaftes Paar.
( WARWARA und PRASKOWJA gehen zu LISA hin, aber NIKOLAI wendet sich ab und geht zu DASCHA .)
STAWROGIN
Ich habe von Ihrer Heirat gehört, Dascha, und möchte Ihnen Glück wünschen. ( DASCHA wendet den Kopf ab.) Ich meine es aufrichtig.
DASCHA
Ich weiß.
PJOTR
Warum diese Glückwünsche? Gibt es gute Neuigkeiten?
PRASKOWJA
Ja, Dascha wird heiraten.
PJOTR
Oh! Das ist ja wunderbar. Dann möchte ich auch gratulieren. Aber dann haben Sie unsere Wette verloren. In der Schweiz haben Sie gesagt, Sie würden niemals heiraten. Das scheint wirklich eine ansteckende Krankheit zu sein. Wissen Sie, dass mein Vater ebenfalls heiratet?
STEPAN
Pjotr!
PJOTR
Das hast du mir doch geschrieben! Du drückst dich allerdings nicht gerade verständlich aus, du schreibst, du seist überglücklich, dann aber, ich solle dich retten, du sagst, die junge Frau sei ein Juwel, jedoch du würdest heiraten müssen, um in der Schweiz begangene Sünden zu decken, du bittest mich um meine Zustimmung – das ist ja verkehrte Welt! – und flehst mich an, dich vor dieser Heirat zu bewahren. (Zu den anderen, fröhlich) Da soll sich einer zurechtfinden! Aber so ist seine Generation eben, große Worte und verworrene Ideen! (Scheint die Wirkung seiner Worte zu bemerken) Oh – ich fürchte, da habe ich etwas Dummes gesagt.
WARWARA (geht auf ihn zu, mit flammend rotem Gesicht)
Hat Stepan Trofimowitsch Ihnen das wörtlich so geschrieben?
PJOTR
Ja, hier ist sein Brief, so lang wie alle seine Briefe. Zugegeben, ich lese sie nicht bis zum Schluss, was ihm übrigens egal ist, denn er schreibt sie für die Nachwelt. Aber es ist nichts Schlechtes an dem, was er sagt.
WARWARA
Nikolai, hat Stepan Trofimowitsch dir von dieser Heirat erzählt? In demselben Stil, nehme ich an?
STAWROGIN
Ja, er hat mir geschrieben, aber einen sehr vornehmen Brief.
WARWARA
Genug! (Dreht sich zu STEPAN
Weitere Kostenlose Bücher