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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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gehenzulassen. Etwas Haltung! Ah! Lisa, wie schön! Und Ihre verehrte Frau Mutter hat mich nicht vergessen? Wie geht es Ihren Beinen? Liebe Warwara Stawrogina, ich hatte meinen Vater benachrichtigt, aber er hat es natürlich vergessen …
    STEPAN
    Mein Sohn, welch eine Freude!
    PJOTR
    Ja, du liebst mich. Aber sei jetzt still. Da kommt Nikolai!
    ( NIKOLAI STAWROGIN kommt herein.)
    WARWARA
    Nikolai! (Als er seinen Namen hört, bleibt NIKOLAI stehen.) Ich fordere Sie auf, mir sofort, an Ort und Stelle, zu sagen, ob es stimmt, dass diese Frau hier Ihre rechtmäßige Gattin ist!
    ( NIKOLAI blickt WARWARA starr an, lächelt, geht zu ihr und küsst ihr die Hand. Dann geht er mit denselben ruhigen Schritten zu MARJA TIMOFEJEWNA , die mit schmerzlich entzücktem Gesicht aufsteht.)
    STAWROGIN (ungewöhnlich zart und sanft)
    Hier sollten Sie nicht bleiben.
    MARJA
    Darf ich hier, jetzt, vor Ihnen niederknien?
    STAWROGIN (lächelt)
    Nein, das dürfen Sie nicht. Ich bin weder Ihr Bruder noch Ihr Verlobter noch Ihr Mann, nicht wahr? Hier, mein Arm. Mit Ihrer Erlaubnis bringe ich Sie zu Ihrem Bruder zurück.
    ( MARJA schaut ängstlich zu ihrem Bruder.)
    Keine Angst, jetzt bin ich da, er wird Sie nicht mehr anrühren.
    MARJA
    Oh! Ich habe keine Angst. Sie sind endlich wieder da. Lebjadkin, lass die Kutsche vorfahren.
    ( LEBJADKIN geht hinaus. NIKOLAI hält MARJA den Arm hin, sie hängt sich strahlend bei ihm ein. Im Gehen stolpert sie jedoch und würde hinfallen, wenn er sie nicht festhielte. Inmitten tiefer Stille führt er sie behutsam zum Ausgang. LISA , die von ihrem Stuhl aufgestanden war, setzt sich mit vor Abscheu verzerrtem Gesicht wieder hin. Sobald die beiden draußen sind, kommen alle in Bewegung.)
    WARWARA (zu PRASKOWJA )
    Bitte, du hast gehört, was er gesagt hat.
    PRASKOWJA
    Natürlich. Natürlich! Aber warum hat er dir nicht geantwortet?
    PJOTR
    Weil er nicht konnte, glauben Sie mir!
    WARWARA (schaut ihn barsch an)
    Warum? Was wissen Sie davon?
    PJOTR
    Alles. Die Geschichte ist zu lang, Nikolai hatte keine Zeit, sie zu erzählen. Aber ich könnte es, denn ich war bei allem Zeuge.
    WARWARA
    Wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben, dass Ihr Bericht Nikolais Gefühle nicht verletzt …
    PJOTR
    Im Gegenteil! Er wird mir dankbar sein, dass ich es erzählt habe. Sehen Sie, vor fünf Jahren waren wir gemeinsam in Sankt Petersburg, und er führte ein, wie soll ich sagen, ein ironisches Leben. Ja, das ist das passende Wort. Er langweilte sich, wollte aber nicht verzweifeln, also gab er sich dem Nichtstun hin und verkehrte mit den unmöglichsten Leuten, aber aus Seelenadel, nicht wahr, als wahrer Grandseigneur. Kurz, er hatte mit zwielichtigen Existenzen Umgang. So begegnete er diesem Lebjadkin, einem Witzbold und Schmarotzer. Er und seine Schwester lebten im Elend. Eines Tages wurde die hinkende Frau in einer Kneipe verspottet. Nikolai stand auf, packte den Unverschämten am Kragen und warf ihn mit einer Ohrfeige hinaus. Das ist alles.
    [ WARWARA
    Wie – das ist alles?
    PJOTR
    Ja. So fing alles an. Die Hinkende verliebte sich in ihren Ritter, der danach keine zwei Sätze mit ihr wechselte. Sie wurde ausgelacht. Nur Nikolai lachte nicht und behandelte sie mit Respekt.]
    STEPAN
    Das ist doch ritterlich.
    [ PJOTR
    Oh ja. Sehen Sie, mein Vater sieht es genauso wie die Hinkende. Kirillow war anderer Meinung.
    WARWARA
    Warum das?
    PJOTR
    Er sagte zu Nikolai: «Weil Sie sie wie eine Marquise behandeln, verliert sie vollends den Kopf, und Sie tun das mit Absicht so.»
    LISA
    Und was hat der Ritter entgegnet?
    PJOTR
    «Kirillow», hat er gesagt, «wenn Sie denken, ich würde mich über diese Frau lustig machen, dann irren Sie sich. Ich respektiere sie, weil sie mehr wert ist als wir alle zusammen.»
    STEPAN
    Herrlich! Und, wie soll ich sagen … Ja, ich kann nur wiederholen: ritterlich!]
    PJOTR
    Ja, ritterlich! Leider bildete die Unglückliche sich irgendwann ein, Nikolai sei ihr Verlobter. Nun, als er Sankt Petersburg verlassen musste, hat er dafür gesorgt, dass sie eine jährliche Rente bekommt.
    LISA
    Warum das?
    PJOTR
    Ich weiß nicht. Vielleicht die Laune eines Mannes, der allzu früh des Lebens überdrüssig ist. Kirillow wollte darin den Einfall eines blasierten jungen Mannes sehen, der herausfinden will, wie weit man es mit einer Halbverrückten treiben kann. Aber ich bin sicher, dass das nicht stimmt.
    WARWARA (außerordentlich begeistert)
    Aber natürlich! Das ist Nikolai, wie er leibt und lebt, das hat er von mir! Diese

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