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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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trotzdem. (Zu ALEXEJ JEGOROWITSCH ) Er soll hinaufkommen. ( ALEXEJ geht hinaus.) Ich habe, das sollen Sie wissen, anonyme Briefe bekommen, in denen mein Sohn als Ungeheuer bezeichnet wird und ich vor einer gebrechlichen Frau gewarnt werde, die in meinem Leben eine große Rolle spielen werde. Ich will mir das jetzt alles vom Herzen schaffen.
    PRASKOWJA
    Ich habe auch Briefe bekommen. Und du weißt, was darin steht über diese Frau und Nikolai …
    WARWARA
    Ich weiß.
    LEBJADKIN (kommt herein, ist angeheitert, doch nicht betrunken. Geht auf WARWARA STAWROGINA zu)
    Gnädige Frau, ich komme …
    WARWARA
    Setzen Sie sich auf diesen Stuhl, mein Herr, Sie können genauso gut von dort aus reden. ( LEBJADKIN dreht sich um und geht sich hinsetzen.) Wollen Sie sich jetzt vorstellen?
    LEBJADKIN (steht auf)
    Hauptmann Lebjadkin. Gnädige Frau, ich komme …
    WARWARA
    Ist diese Person Ihre Schwester?
    LEBJADKIN
    Ja, gnädige Frau. Sie ist mir entwischt, weil … glauben Sie bitte nicht, dass ich schlecht über meine Schwester reden will, aber … (Er macht eine Bewegung mit dem Finger zu seiner Schläfe hin.)
    WARWARA
    Hält dieser bedauerliche Zustand schon länger an?
    LEBJADKIN
    Seit einem gewissen Tag, gnädige Frau, einem ganz gewissen Tag … Ich komme, um mich bei Ihnen zu bedanken, dass Sie sie aufgenommen haben. Hier bitte, zwanzig Rubel.
    (Er geht auf WARWARA STAWROGINA zu, die anderen machen eine Bewegung, als wollten sie sie schützen.)
    WARWARA
    Ich fürchte, Sie haben den Verstand verloren.
    LEBJADKIN
    Nein, gnädige Frau. Reich ist Ihre Wohnung und arm die der Lebjadkins, aber meine Schwester Marja, geborene Lebjadkina, Marja Namenlos, hätte nur von Ihnen die zehn Rubel angenommen, die Sie ihr gegeben haben. Von Ihnen, gnädige Frau, würde sie alles annehmen, von Ihnen allein. Aber während sie mit der einen Hand etwas annimmt, spendet sie es mit der anderen einem Ihrer wohltätigen Werke.
    WARWARA
    Spenden nimmt mein Pförtner entgegen, Sie können sie dort lassen, wenn Sie gehen. Also stecken Sie Ihre Geldscheine wieder ein und fuchteln Sie nicht damit herum. Und setzen Sie sich wieder hin. Erklären Sie sich jetzt bitte und sagen Sie mir, warum Ihre Schwester alles von mir annehmen kann.
    LEBJADKIN
    Gnädige Frau, dieses Geheimnis werde ich ins Grab mitnehmen.
    WARWARA
    Warum das?
    LEBJADKIN
    Darf ich Ihnen eine Frage stellen, ganz offen, unter Russen, aus tiefster Seele?
    WARWARA
    Ich höre.
    LEBJADKIN
    Kann man sterben, nur weil man eine zu edle Seele besitzt?
    WARWARA
    Darüber habe ich noch nie nachgedacht.
    LEBJADKIN
    Wirklich nie? Nun, wenn das so ist … (Schlägt sich heftig gegen die Brust) Schweig stille, hoffnungsloses Herz!
    ( MARJA bricht in Lachen aus.)
    WARWARA
    Mein Herr, hören Sie auf, in Rätseln zu reden, und beantworten Sie meine Frage. Warum kann sie alles von mir annehmen?
    LEBJADKIN
    Warum? Ach, gnädige Frau, seit Jahrtausenden schreit die ganze Natur jeden Tag erneut ihrem Schöpfer dies «Warum» entgegen, und die Antwort bleibt bis heute aus. Sollte Hauptmann Lebjadkin als Einziger antworten müssen? Wäre das gerecht? Ich möchte gern Pawel heißen, und wie heiße ich? Ignat … Warum? Ich bin Poet, Poet von ganzem Herzen, und muss in einem Schweinestall hausen. Warum? Warum?
    WARWARA
    Ihr aufgeblasenes Gerede ist unverschämt.
    LEBJADKIN
    Nein, Gnädigste, durchaus nicht. Ich bin nur eine Küchenschabe, aber die Küchenschabe beklagt sich nicht. Manchmal zwingen einen die Umstände, eher die Ehre der eigenen Familie im Schmutz zu sehen, als die Wahrheit herauszuschreien. Nein, Lebjadkin wird sich nicht beklagen, von ihm hören Sie kein Wort zu viel. Gnädige Frau, bewundern Sie seine Seelenstärke!
    ALEXEJ (tritt ein, sehr erregt)
    Nikolai Stawrogin ist gekommen.
    (Alle wenden sich zur Tür. Hastige Schritte. PJOTR WERCHOWENSKI kommt herein.)
    STEPAN
    Aber …
    PRASKOWJA
    Das ist doch …
    PJOTR
    Ich entbiete meinen Gruß, Warwara Stawrogina.
    STEPAN
    Pjotr, das ist ja Pjotr, mein Sohn!
    (Er stürzt zu ihm und umarmt ihn.)
    PJOTR
    Schon gut, schon gut. Reg dich nicht so auf. (Macht sich frei) Denken Sie nur, ich dachte, ich würde hier Nikolai Stawrogin antreffen, aber er ist nicht hier. Vor einer halben Stunde hat er mich bei Kirillow verlassen und hierher bestellt. Aber er kommt sicher gleich, und ich freue mich, Ihnen diese gute Nachricht zu überbringen.
    STEPAN
    Aber wir haben uns seit zehn Jahren nicht mehr gesehen.
    PJOTR
    Noch ein Grund, sich nicht so

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