Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
Vom Netzwerk:
gern. Wozu leben? Ich begreife Ihren Standpunkt bestens. Wenn Gott eine Lüge ist, dann sind wir einsam und frei. Sie bringen sich um und beweisen damit, dass Sie frei sind und es keinen Gott mehr gibt. Aber dafür müssen Sie sich umbringen.
    KIRILLOW (immer erregter)
    Du hast alles verstanden. Ach! Die ganze Welt wird es verstehen, wenn selbst so ein Lump wie du das kann. Aber irgendjemand muss den Anfang machen und sich umbringen, um den anderen die schreckliche Freiheit des Menschen zu beweisen. Zu meinem Unglück bin ich der Erste und habe furchtbare Angst. Aber ich mache den Anfang und lasse die Tür geöffnet. So werden alle Menschen glücklich, werden Zaren, auf ewig. (Stürzt an den Tisch) Ah! Gib mir die Feder. Diktiere, ich unterschreibe alles. Auch, dass ich Schatow getötet habe. Ich fürchte niemanden, alles ist gleichgültig. Alles Geheime wird ans Licht kommen, und du wirst zermalmt werden. Glaube ich, glaube ich. Los!
    PJOTR (springt auf und legt Papier und Feder vor KIRILLOW )
    Ich, Alexej Kirillow, erkläre hiermit …
    KIRILLOW
    Ja. Aber wem? Wem? Ich will wissen, für wen diese Erklärung gedacht ist.
    PJOTR
    Für niemanden, für alle. Warum genauer werden? Für die ganze Welt.
    KIRILLOW
    Die ganze Welt! Bravo! Und ohne Reue. Von Reue will ich nichts wissen. Und ich wende mich nicht an die Obrigkeit. Los, diktiere. Die Welt ist schlecht, ich unterschreibe.
    PJOTR
    Ja, die Welt ist schlecht. Und zum Teufel mit der Obrigkeit! Schreiben Sie.
    KIRILLOW
    Moment! Ich zeichne oben auf die Seite ein Gesicht, das allen die Zunge herausstreckt.
    PJOTR
    Nein, keine Zeichnungen. Der Ton genügt.
    KIRILLOW
    Der Ton, ja, sehr gut. Gib den Ton an.
    PJOTR
    «… erkläre hiermit, dass ich heute Morgen im Park den Studenten Schatow getötet habe, weil er Verrat geübt und die Proklamationen denunziert hat.»
    KIRILLOW
    Das soll alles sein? Ich möchte sie noch beschimpfen.
    PJOTR
    Es genügt so. Geben Sie her. Datum und Unterschrift fehlen noch.
    KIRILLOW
    Ich will sie beschimpfen.
    PJOTR
    Dann schreiben Sie: «Hoch lebe die Republik!», das ist die schlimmste Beleidigung.
    KIRILLOW
    Ja. Ja. Nein, ich schreibe: «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit oder der Tod!» Ha! Und weiter auf Französisch: «Gentilhomme, séminariste russe et citoyen du monde civilisé.» Hier! Hier! Perfekt!
    (Er steht auf, nimmt den Revolver und läuft das Licht löschen. Das Zimmer liegt im Dunkeln. Er schreit mit voller Kraft.)
    Gleich … gleich …
    (Ein Schuss. Stille. Tastende Bewegungen auf der Bühne. PJOTR WERCHOWENSKI entzündet eine Kerze und beugt sich über KIRILLOW s Leiche.)
    PJOTR
    Perfekt.
    (Er geht.)
    MARJA (schreit in ihrem Zimmer auf)
    Schatow! Schatow!
    Dunkel
    DER ERZÄHLER
    Vom wankelmütigen Ljamschin angezeigt, wurden Schatows Mörder verhaftet, außer Werchowenski, der in demselben Augenblick in einem Erste-Klasse-Abteil über die Grenze fuhr und bereits neue Pläne für eine bessere Gesellschaft schmiedete. Nun – die Werchowenskis dieser Welt mögen nie aussterben; wer weiß, ob das auch für die Stawrogins gilt.
    Zweiundzwanzigstes Bild
    (Bei Warwara Stawrogina. Sie legt eben ein Cape um. DASCHA SCHATOWA neben ihr trägt Trauer. ALEXEJ JEGOROWITSCH steht in der Tür.)
    WARWARA
    Lass den Wagen vorfahren! ( ALEXEJ JEGOROWITSCH geht hinaus.) Auf diese Weise wegzulaufen, in seinem Alter, über die Landstraßen, bei diesem Regen! (Weint) Der Dummkopf! Der Dummkopf! Aber jetzt ist er wirklich krank. Oh! Ich hole ihn zurück, tot oder lebendig! (Sie geht auf die Tür zu, hält inne, tritt zu DASCHA SCHATOWA .) Mein liebes Kind. (Sie küsst DASCHA SCHATOWA . Diese schaut ihr durch das Fenster nach, setzt sich dann hin.)
    DASCHA
    Behüte sie alle, lieber Gott, behüte sie alle, und behüte auch mich. ( STAWROGIN tritt ein. DASCHA SCHATOWA schaut ihn forschend an. Stille.) Sie kommen mich holen, nicht wahr?
    STAWROGIN
    Ja.
    DASCHA
    Was wollen Sie von mir?
    STAWROGIN
    Ich bitte Sie, morgen mit mir wegzugehen.
    DASCHA
    Ja, ich komme. Wohin?
    STAWROGIN
    Ins Ausland. Dort werden wir für immer leben. Kommen Sie?
    DASCHA
    Ja.
    STAWROGIN
    Der Ort, an den ich denke, ist trostlos, am Ende eines schmalen Tals. Das Gebirge lastet auf Blicken und Gedanken. Es ist derjenige Ort auf der Welt, der dem Tod am nächsten kommt.
    DASCHA
    Ich folge Ihnen. Aber Sie werden lernen zu leben, wieder zu leben … Sie sind stark.
    STAWROGIN (böse lächelnd)
    Ja, ich bin stark. Ich habe es geschafft, mich stillschweigend ohrfeigen zu

Weitere Kostenlose Bücher