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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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lassen, einen Mörder zu überwältigen, in den wüstesten Ausschweifungen zu leben, öffentlich meine Dekadenz zu bekennen. Ich kann alles, meine Kraft ist grenzenlos. Aber ich weiß nicht, wozu ich sie einsetzen soll. Alles ist mir so fern.
    DASCHA
    Könnte Gott Ihnen doch ein kleines bisschen Liebe schenken, selbst wenn sie nicht mir gilt!
    STAWROGIN
    Ja, Sie haben ein gutes Herz, Sie werden eine gute Krankenpflegerin abgeben. Doch ich wiederhole, machen Sie sich keine Illusionen. Ich habe nie etwas verabscheuen und folglich nie etwas lieben können. Ich bin nur zur Verneinung fähig, zur schäbigen Verneinung. Wenn ich endlich an etwas glauben könnte, könnte ich mich vielleicht umbringen. Aber ich kann an nichts glauben.
    DASCHA (zittert)
    Nikolai, eine solche Leere ist der Glaube oder seine Verheißung!
    STAWROGIN (schaut sie an; nach einer Pause)
    Also glaube ich. (Richtet sich auf) Sagen Sie nichts. Ich habe jetzt zu tun. (Lacht seltsam auf) Wie niederträchtig, dass ich Sie holen will! Sie waren mir lieb, und in meinem Kummer habe ich bei Ihnen Trost gesucht.
    DASCHA
    Sie haben mich mit Ihrem Kommen glücklich gemacht.
    STAWROGIN (schaut sie seltsam an)
    Glücklich? Schön, schön … Aber nein, das ist nicht möglich … Ich bringe immer nur Unglück … Doch ich klage niemanden an.
    (Er geht nach rechts ab. Von draußen Stimmengewirr. WARWARA STAWROGINA kommt von hinten. Hinter ihr wird STEPAN TROFIMOWITSCH wie ein Kind von einem großen, kräftigen Bauern hereingetragen.)
    WARWARA
    Schnell, lege ihn auf das Sofa. (Zu ALEXEJ JEGOROWITSCH ) Hole den Arzt! (Zu DASCHA SCHATOWA ) Du lass das Zimmer heizen. ( STEPAN TROFIMOWITSCH liegt auf dem Sofa, der Bauer zieht sich zurück.) Na, Sie Narr, hat Ihnen der Ausflug gutgetan? ( STEPAN TROFIMOWITSCH wird ohnmächtig. Sie setzt sich angsterfüllt neben ihn und tätschelt ihm die Hände.) Ruhig Blut! Ruhig Blut! Mein Freund – du Quälgeist!
    STEPAN (kommt zu sich, richtet sich auf)
    Ach, meine Liebe, meine Liebe!
    WARWARA
    Nein, warten Sie, seien Sie still.
    (Er nimmt ihre Hand und drückt sie kräftig. Plötzlich führt er sie an die Lippen. Mit verkniffenem Mund starrt WARWARA STAWROGINA in eine Ecke des Zimmers.)
    STEPAN
    Ich habe Sie immer geliebt …
    WARWARA
    Seien Sie still.
    STEPAN
    Mein ganzes Leben lang, seit zwanzig Jahren.
    WARWARA
    Was leierst du die ganze Zeit: «Ich habe Sie geliebt, ich habe Sie geliebt»! Es genügt … Die zwanzig Jahre sind vorbei und kehren nicht wieder zurück. Ich bin eine Närrin! (Steht auf) Wenn Sie nicht wieder einschlafen, werde ich … (Plötzlich zärtlich) Schlafen Sie, ich werde bei Ihnen wachen.
    STEPAN
    Ja, ich werde schlafen. (Er phantasiert, aber eigentlich vernünftig) Liebe, unbegreifliche Freundin, es ist mir fast, als wäre ich glücklich. Aber das Glück tut mir nicht gut, denn ich fange sofort an, meinen Feinden zu vergeben … Wenn man mir doch wenigstens auch vergeben würde.
    WARWARA (gerührt, schroff)
    Man wird Ihnen vergeben. Obwohl …
    STEPAN
    Sie haben recht. Ich verdiene es nicht. Wir sind alle schuldig. Aber wenn Sie da sind, fühle ich mich so unschuldig wie ein Kind. Meine Liebe, ich kann nur an der Seite einer Frau leben. Und auf der Landstraße war es so kalt … Aber ich habe das Volk kennengelernt, habe den Leuten meine Lebensgeschichte erzählt.
    WARWARA
    Sie haben in den Herbergen über mich gesprochen?
    STEPAN
    Ja … aber ohne Namensnennung, nicht wahr. Und sie begriffen gar nichts. Oh, lassen Sie mich den Saum Ihres Kleides küssen!
    WARWARA
    Beruhigen Sie sich. Sie sind unerträglich, wie immer.
    STEPAN
    Ja, schlagen Sie mich auch auf die andere Wange, wie in der Bibel! Ich bin immer ein jämmerlicher Mensch gewesen, nur bei Ihnen nicht.
    WARWARA (weinend)
    Bei mir auch.
    STEPAN (erregt)
    Nein, aber ich habe mein Leben lang gelogen … Sogar, wenn ich die Wahrheit sagte. Nie ist es mir um die Wahrheit gegangen, immer nur um mich allein. Wissen Sie, dass ich vielleicht sogar jetzt lüge?
    WARWARA
    Ja, Sie lügen.
    STEPAN
    Obwohl … die einzige Wahrheit ist, dass ich Sie immer geliebt habe. Sonst, ja, da habe ich gelogen, ganz sicher. Dummerweise aber glaube ich, was ich sage, wenn ich lüge. Das Schlimmste im Leben ist, wenn man seine eigenen Lügen nicht glaubt. Aber Sie sind da, Sie werden mir helfen …
    (Er hat einen Schwächeanfall.)
    WARWARA
    Kommen Sie zu sich! Kommen Sie zu sich! Oh, er glüht! Alexej!
    ( ALEXEJ JEGOROWITSCH tritt ein.)
    ALEXEJ
    Der Arzt weiß

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