Saemtliche Dramen
Freunde, das kann meine Seele nicht ertragen. Lasst mich diesen erstarrten Leib sehen, das traurige Reliquiar kalter Adern, von der Zeit zernagte Trümmer, Reste und Verfall, in denen ein mitleidloses Schicksal sich vollendet, den düsteren Altar meines Schmerzes! Oh mein Sohn, welch himmlische Grausamkeit hat gewollt, dass du zu diesem auf Sand gegründeten Denkmal wirst, das ich mit meinen weißen Haaren umhülle! Weh, Freunde, vergebens schreie ich gen Himmel! Sagt mir, wer hat diesen Sohn getötet, dessen Leben mich leben ließ?
MENGA
Gil kann es dir sagen. Zwischen zwei Bäumen verborgen, hat er den Mann gesehen, der ihn erschlug.
CURCIO
Sprich, sprich! Wer hat mir dieses Leben gestohlen?
GIL
Während des Streits nannte er sich Eusebio. Mehr weiß ich nicht.
CURCIO
Kann solche Schmach noch übertroffen werden? Eusebio hat meine Ehre vernichtet, Eusebio hat mir das Leben genommen! (Zu JULIA ) Jetzt versuche noch, seine Kühnheit zu entschuldigen, seine grausame Anmaßung! Wage noch zu sagen, seine Liebe sei keusch, in dem Moment, da er dir sein schändliches Begehren nicht in Briefen schreibt, sondern in Blut von deinem Blute!
JULIA
Vater …
CURCIO
Verschone mich mit deinen Unverschämtheiten! Bereite dich darauf vor, gleich heute den Schleier zu nehmen oder deine Schönheit mit Lisardo in ein verfrühtes Grab zu senken. An diesem heutigen Tage, mit von Schmerz verhärtetem Herzen, begrabe ich euch beide zugleich, ihn, der der Welt gestorben ist, doch in meinem Gedächtnis lebt, und dich, die du weiterlebst, doch für mich gestorben bist. Damit du nicht fliehen kannst, während ich dieses doppelte Begräbnis vorbereite, sperre ich die Tür ab. Bleibe du mit ihm zusammen, dass sein Tod dich das Sterben lehre!
(Er geht ab, ebenso wie alle anderen, die JULIA allein lassen zwischen LISARDO und EUSEBIO , der zu einer anderen Tür hereinkommt.)
JULIA
Tausend Schreie drängen zu meinem Mund, grausamer Eusebio, aber meine Seele ist schwach, ich kann nicht reden. Ich weiß nicht, was dir sagen, Wut und Mitleid zerreißen mich. Ich wollte die Augen verschließen vor diesem unschuldigen Leib, der unter den roten Blüten seines Blutes nach Rache schreit, und wollte Kraft zum Vergeben finden in den Tränen, die du mir zeigst! Wem soll man auf dieser Welt noch glauben außer Blicken und Wunden! Ich liebe dich, und das Schicksal hasst uns, ich möchte dich zugleich bestrafen und verteidigen. Widerstreitende Gefühle zerreißen mich, der Schmerz wirft mich nach vorn, das Mitleid hält mich zurück. Schwarze Nacht umgibt mich!
Ist es wirklich so, Eusebio, dass du mich retten wolltest? Willst du statt mit den versprochenen Zärtlichkeiten mich mit dieser Grausamkeit gewinnen? Ich habe von ganzem Herzen auf den Tag unserer Vereinigung gehofft, muss ich nun statt einer friedlichen Hochzeit finstere Totenfeier halten? Im Namen unserer Liebe habe ich dem Vater den Gehorsam versagt, und jetzt bringst du mir statt den Gewändern der Freude das Trauerkleid? Ich habe unsere Liebe möglich gemacht, und du, oh Himmel, bietest mir das Grab anstatt des Ehebetts. Ich habe dir meine Hand gegeben, gegen die Gesetze der Ehre, und die Hand, die du mir nun reichst, ist besudelt mit Blut von meinem Blute!
Welche Freuden soll ich in deinen Armen finden, wenn ich gegen den Tod antreten muss, um unsere Liebe leben zu lassen? Und was wird die Welt sagen, wenn ich nicht mit der Ehrverletzung lebe, sondern mit demjenigen, der meine Ehre verletzt hat? Auch wenn ich dieses Unglück aus meinem Gedächtnis verbannen wollte, es würde genügen, dich in den Armen zu halten, schon käme es zurück. Und ich, die ich dich so liebe, würde dann die Liebesfreuden in Zorn verwandeln und nach Rache schreien! Wie soll diese Seele fortan leben zwischen widerstreitenden Kräften, wenn sie nach Vergeltung ruft und hofft, dass sie nicht kommen möge?
Nein, hoffe nicht, mich jemals wiederzusehen oder mit mir zu reden. Es muss genügen, dass ich dir im Namen unserer Liebe verzeihe. Geh. Fliehe die Gefahr, auf dass mein Vater, wenn er zurückkommt, dich hier nicht findet. Ja, Eusebio, geh, vergiss diejenige, die du heute verlierst, denn du hast es so gewollt. Geh und sei glücklich. Erfreue dich aller Güter der Welt, ohne mit allzu viel Kummer für sie zahlen zu müssen. Ich werde eine Zelle zum Gefängnis meines kurzen Lebens machen, zu dem Grab, in das mein Vater mich versenken will. Dort werde ich das Unglück eines mitleidlosen Schicksals betrauern,
Weitere Kostenlose Bücher