Saemtliche Dramen
ARMINDA geht ab.)
Viele Jahre lang, Julia, habe ich den bittersten Kummer verborgen, doch der blinde Schmerz, den du mir zufügst, zwingt mich, dir mit Worten zu sagen, was ich dir mit Blicken bedeuten wollte. Vor langer Zeit entsandte mich, um meine Familie zu ehren, die Ratsversammlung von Sena zu Papst Urban III . Deine Mutter galt zu der Zeit in Sena als Heilige, als lebendes Beispiel alter häuslicher Tugenden. Ich Unglücklicher, wie kann mein Mund sie anklagen, warum muss das Herz so nach Rache dürsten! Sie blieb in unserem Haus, während ich mich mit meinem Gefolge acht Monate in Rom aufhielt und ein Abkommen aushandelte, das die Ratsversammlung dem Papst unterstellen sollte. Schließlich kam ich nach Sena zurück. An dieser Stelle fehlt mir die Luft, Julia, der Mut verlässt mich … Oh ungerechte Befürchtung … Ich fand deine Mutter so kurz vor der Niederkunft, dass seit den ersten Anzeichen bereits neun Monate hätten vergangen sein müssen. In ihren verlogenen Briefen hatte sie mich auf diese unselige Geburt vorbereitet und gesagt, sie habe schon vor meiner Abreise Vermutungen gehabt. Mir aber schien nach einiger Überlegung meine Entehrung eine Tatsache und meine Erniedrigung vollendet. Ich sage nicht, dass es unbedingt stimmte. Aber in allem, was den Adel betrifft, braucht es keine Gewissheit, der Verdacht genügt.
Oh barbarisches Ehrengesetz, unmenschliche Ordnung der Welt! Warum muss ein Edelmann ins Unglück geraten, wenn Unwissenheit ihn eigentlich entschuldigt? Trügerisch sind die Gesetze der Ehre, denn sie müssten den Ursachen zuvorkommen, statt die Wirkung zu bestrafen, ohne etwas davon zu begreifen. Welches Gesetz darf einen Unschuldigen abstrafen und sich dennoch gerecht nennen? Warum darf die schäbige Meinung der Welt einen freien Mann beeinträchtigen? Ja, trügerisch ist das erbarmungslose Ehrengesetz, das Schande schreit, wo doch nur Unglück herrscht, und den bestohlenen Argus ebenso schmäht wie Merkur, den Dieb. Wenn die Welt den Unschuldigen derart schmäht, wie verfährt sie mit dem Schuldigen, der etwas weiß und es verschweigt?
So war ich in meine Gedanken verstrickt, mit verdüstertem Herzen, und fand keinen Genuss mehr bei Tisch und keine Ruhe im Bett. Meiner selbst überdrüssig, wurde ich mir fremd, ein Feind meiner Seele. Zwar ergriffen meine Gedanken oft die Partei deiner Mutter, und ihre Unschuld schien mir bisweilen wahrscheinlich, doch machten mir die Befürchtungen, von denen ich besessen war, das Herz schwer. Im Grunde war ich von ihrer Treue überzeugt, dürstete aber dennoch nach Rache, nicht wegen ihrer Verfehlungen, sondern wegen der Gedanken, die sie mir eingab. Um heimlich zu Werke gehen zu können, schob ich eine Jagdpartie vor. Wir zogen ins Gebirge, und während alle sich den Vergnügungen der Jagd hingaben, umgab ich Rosmina, deine Mutter, mit schmeichlerischen Worten und führte sie einen entlegenen Pfad entlang. Ich unterhielt sie freundlich, bis ich sie zu einem vom Laubdach dicht bedeckten Ort geführt hatte, zu dem die Sonne nicht hindurchdrang. Da waren wir allein an diesem Ort, den vielleicht kein Sterblicher je betreten hatte, und …
( ARMINDA kommt herein.)
ARMINDA
Herr! Wenn in dem Unglück, das sich dir naht, der Himmel dir nicht den Mut verweigert, der einem edlen Herzen eigen ist, und auch nicht die von der Lebenserfahrung geschenkte Standhaftigkeit, dann wirst du jetzt deine Seelenstärke beweisen können.
CURCIO
Mit welchem Recht unterbrichst du …
ARMINDA
Herr …
CURCIO
Sprich weiter, das Warten ist eine Qual.
JULIA
Warum zögerst du?
ARMINDA
Ich wollte, ich müsste nicht dein Unglück aussprechen und mein Leid.
CURCIO
Sprich ohne Furcht, ich höre ohne Furcht, was du zu sagen hast.
ARMINDA
Man bringt Lisardo, Herr … auf einer Bahre, von vier Hirten getragen, von seinem Blute getränkt, tot, von Schwerthieben getroffen … Hier bringt man ihn vor deine Augen. Sieh nicht hin!
CURCIO
Gott im Himmel! So viel Unglück über einen von Fortuna Verlassenen! Oh weh!
(Die Bauern kommen herein: GIL , MENGA , TIRSO , BLAS und TORIBIO . Sie tragen den toten LISARDO , dessen Gesicht blutbeschmiert ist, auf einer Bahre.)
JULIA
Lisardo! Welcher böse Geist hat gegen deine Unschuld gewütet, welches wilde Tier deine Brust zerrissen? Wo ist die grausame Hand, die sich in meinem Blut gewaschen hat? Weh über mich!
ARMINDA
Herrin!
BLAS
Sieh nicht hin.
CURCIO
Auseinander!
TIRSO
Halt inne, Herr!
CURCIO
Nein,
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