Saemtliche Dramen
das unerbittliche Los beweinen, den feindlich gesinnten Himmel, den Unglücksstern! Mit Tränen werde ich die Erinnerung an eine allzu stolze Leidenschaft wegwaschen, an eine unglückliche Liebe und an die mörderische Hand, die mir das Leben nahm, ohne mir den Tod zu geben, damit ich in ewiger Qual unaufhörlich weiterlebe und weitersterbe.
EUSEBIO
Wenn deine Hände, um dich zu rächen, noch erbarmungsloser sein können als deine Worte, dann siehst du mich hier zu deinen Füßen. Ich liefere mich dir aus. Mein Verbrechen zwängt mich in die unüberwindlichen Schließeisen der Sünde. Meine Liebe ist mein Kerker, mein Gewissen wird mein Henker sein. Deine Augen urteilen über mich; ich weiß, ihr Urteil kann nur auf Tod lauten! Doch wenn ich sterben muss, wird mein Ruf von allen Dächern erschallen: Er stirbt, weil er geliebt hat! Ja, mein einziges Verbrechen ist, dich zu lieben. Ich will deine Vergebung nicht. Ich weiß auch, dass eine solche Tat nicht vergeben werden kann. Ich will nur, dass du Rache nimmst und mich tötest. Nimm diesen Dolch. Stoße ihn in das Herz, das dich gekränkt hat, vernichte eine Seele, die dich anbetet, und vergieße auf diese Weise dein eigenes Blut. Wenn du mich nicht töten willst, wird dein Vater es tun. Ich werde schreien, damit er weiß, dass ich in deinem Zimmer bin!
JULIA
Hör auf! Und erfülle mir eine letzte Bitte. Du besitzt ein Landgut und hast genug Leute, um dich zu verteidigen. Fliehe dorthin, wo du dein Leben schützen kannst.
EUSEBIO
Lieber will ich sterben. Wenn ich lebe, werde ich nicht anders können, als dich zu lieben. Nirgends auf der Welt, auch nicht im Kloster, wirst du vor mir sicher sein.
JULIA
Sorge für dich selbst. Ich werde mich zu verteidigen wissen.
EUSEBIO
Ich werde dich also nicht wiedersehen?
JULIA
Nein.
EUSEBIO
Gibt es keine Hoffnung?
JULIA
Keine Hoffnung.
EUSEBIO
Hasst du mich schon jetzt?
JULIA
Ich werde versuchen, dich zu hassen.
EUSEBIO
Du wirst mich vergessen!
JULIA
Das würde ich gern.
EUSEBIO
Ich muss dich wiedersehen.
JULIA
Niemals.
EUSEBIO
Julia, im Namen der Liebe, die uns gestern vereinte …
JULIA
Nein, Eusebio, im Namen des Blutes, das uns heute trennt. Die Tür wird geöffnet. Geh!
EUSEBIO
Ich gehe, weil ich dir gehorche. Doch wie könnte ich dich für immer verlassen …
JULIA
Und wie könnte ich dich jemals wiedersehen …!
(Geräusche aus dem Off. Beide gehen durch verschiedene Türen hinaus. Man kommt den Leichnam holen.)
Vorhang
Zweiter Tag
(Schüsse. RICARDO , EUSEBIO und CELIO treten auf, als Räuber gekleidet und mit Musketen bewaffnet.)
RICARDO
Die Kugel hat ihn mitten in die Brust getroffen.
EUSEBIO
Legt ein Kreuz auf ihn, und Gott verzeihe ihm seine Sünden.
RICARDO
Das mache ich. Wir sind zwar Diebe, aber doch Christen.
(Er geht ab.)
EUSEBIO
Da das gnadenlose Schicksal mich zu einem Anführer von Räubern gemacht hat, sollen meine Verbrechen ebenso maßlos sein wie mein Schmerz. Ich werde gejagt, als hätte ich Lisardo aus dem Hinterhalt getötet. Diese ungerechte Raserei treibt mich zur Verzweiflung und zwingt mich, mein Leben zu verteidigen, welche Verbrechen dazu auch nötig sein mögen. Mein Besitz ist konfisziert, mein Land beschlagnahmt, ich werde mit einer solchen Härte behandelt, dass man mir nicht einmal das tägliche Brot gönnt. Nun! Solange man mir nichts lässt als das Unglück, wird jeder Reisende, der hier durchkommt, mit seinem Geld und seinem Leben bezahlen.
( RICARDO tritt auf, mit ihm ALBERTO , ein Greis.)
RICARDO
Hauptmann, ich wollte nachsehen, wo die Kugel ihn getroffen hat, und ich muss dir etwas höchst Erstaunliches berichten. Die Kugel ist von einem Buch abgeprallt, das der Mann über der Brust trug, und er wurde nur einfach ohnmächtig. Da ist er, heil und ganz.
EUSEBIO
Wer bist du, ehrwürdiger Greis, dass der Himmel dich mit einem solchen Wunder rettet?
ALBERTO
Ich bin der glücklichste Mensch, Hauptmann. Unwürdig, wie ich bin, habe ich doch Priester werden dürfen und vierundvierzig Jahre lang in Bologna die heilige Theologie gelehrt. Dann verlieh mir Seine Heiligkeit für meine Verdienste das Bistum Trento. Doch bald erschreckte mich die Verantwortung für so viele Seelen, wo ich doch kaum Rechenschaft für meine eigene geben konnte, und so ließ ich Ruhm und Ehren hinter mir, floh die Trugbilder der Welt, begab mich in die Einsamkeit, in der man der nackten Wahrheit begegnet, und suchte darin die Entsagung, die einzige und letzte
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