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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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PATRIZIER
    Hört ihr?
    (Waffenlärm.)
    CHEREA
    Dieser Ausspruch verrät eine Schwäche.
    DER ALTE PATRIZIER
    Würde es dir etwas ausmachen, nicht zu philosophieren? Mir graut davor. (Hinten kommt ein Sklave mit Waffen herein, die er auf einem Sitz zurechtlegt.)
    CHEREA (der ihn nicht gesehen hat)
    Wir müssen zumindest anerkennen, dass dieser Mann einen unbestreitbaren Einfluss ausübt. Er zwingt zum Denken. Er zwingt jeden zum Denken. Die Unsicherheit bringt einen nämlich zum Denken. Und deshalb wird er mit so viel Hass verfolgt.
    DER ALTE PATRIZIER (zitternd)
    Schau.
    CHEREA (erblickt die Waffen; seine Stimme verändert sich ein wenig)
    Vielleicht hattest du recht.
    ERSTER PATRIZIER
    Wir hätten schnell handeln müssen. Wir haben zu lange gewartet.
    CHEREA
    Ja. Eine Einsicht, die etwas spät kommt.
    DER ALTE PATRIZIER
    Aber das ist ja Wahnsinn. Ich will nicht sterben.
    (Er steht auf und will weglaufen. Zwei Wachen tauchen auf, ohrfeigen ihn und halten ihn mit Gewalt fest. Der ERSTE PATRIZIER sinkt auf seinem Sitz zusammen. CHEREA sagt ein paar Worte, die man nicht verstehen kann. Plötzlich erklingt im Hintergrund eine eigenartige schrille, hüpfende Musik von Sistren und Zimbeln. Die Patrizier verstummen und schauen. CALIGULA , in kurzem Ballettröckchen, mit Blumen auf dem Kopf, erscheint als Schattenriss hinter dem Vorhang im Hintergrund, mimt ein paar lächerliche Tanzbewegungen und verschwindet.)
    EINE WACHE (spricht gleich darauf)
    Die Vorstellung ist beendet.
    (Unterdessen ist CAESONIA leise hinter die Zuschauenden getreten. Sie spricht mit ausdrucksloser Stimme, bei der diese jedoch zusammenfahren.)
    5 . Szene
    CAESONIA
    Caligula hat mich beauftragt, euch zu sagen, dass er euch bisher für die Staatsgeschäfte rufen ließ, dass er euch heute aber einlädt, mit ihm einen ergreifenden Kunstgenuss zu teilen. (Pause, dann mit der gleichen Stimme) Er hat übrigens hinzugefügt, dass dem, der nicht mitgenießt, der Kopf abgeschlagen wird.
    (Sie schweigen.)
    Entschuldigt, wenn ich darauf bestehe. Aber ich muss euch fragen, ob ihr diesen Tanz schön gefunden habt.
    ERSTER PATRIZIER (nach kurzem Zögern)
    Er war schön, Caesonia.
    DER ALTE PATRIZIER (mit überströmender Dankbarkeit)
    O ja, Caesonia!
    CAESONIA
    Und du, Cherea?
    CHEREA (kühl)
    Das war große Kunst.
    CAESONIA
    Ausgezeichnet, dann kann ich Caligula ja davon in Kenntnis setzen.
    6 . Szene
    ( HELICON tritt ein.)
    HELICON
    Sag mal, Cherea, war es wirklich große Kunst?
    CHEREA
    In gewisser Hinsicht, ja.
    HELICON
    Ich verstehe. Du bist sehr geschickt, Cherea. Falsch wie ein Ehrenmann. Aber geschickt, wirklich. Ich bin nicht geschickt. Und trotzdem werde ich nicht zulassen, dass ihr Gajus etwas antut, auch wenn er ebendas selbst wünscht.
    CHEREA
    Ich verstehe nichts von diesem Gerede. Aber ich gratuliere dir zu deiner Ergebenheit. Ich liebe gute Dienstboten.
    HELICON
    Jetzt bist du aber stolz, was? Ja, ich diene einem Verrückten. Aber wem dienst du denn? Der Tugend? Ich werde dir sagen, was ich davon halte. Ich bin als Sklave geboren. Das heißt, du Ehrenmann, nach der Pfeife der Tugend habe ich zuerst unter der Peitsche getanzt. Gajus dagegen hat mir keine Rede gehalten. Er hat mich freigelassen und in seinen Palast aufgenommen. Auf diese Weise habe ich euch, die Tugendhaften, beobachten können. Und ich habe gemerkt, dass ihr widerlich ausseht und übel riecht; um euch ist der schale Geruch derer, die nie gelitten und nie etwas gewagt haben. Ich habe die edlen Faltenwürfe, aber auch den Morast im Innern gesehen, die Gier, die Korruption. Ihr wollt Richter sein? Ihr, die ihr mit der Tugend hausieren geht, die ihr von Sicherheit träumt wie das junge Mädchen von der Liebe, die ihr trotzdem in Angst und Schrecken sterben werdet, ohne auch nur zu ahnen, dass ihr euer Leben lang gelogen habt, ihr nehmt euch heraus, über den zu urteilen, der unendlich gelitten hat und jeden Tag aus tausend neuen Wunden blutet? Zuerst müsst ihr mich schlagen, da kannst du sicher sein! Verachte nur den Sklaven, Cherea! Er steht über deiner Tugend, denn er kann noch diesen erbärmlichen Herrn lieben, den er gegen eure edlen Lügen, eure eidbrüchigen Münder verteidigen wird …
    CHEREA
    Lieber Helicon, du lässt dich zur Eloquenz hinreißen. Ehrlich, du hattest früher einen besseren Geschmack.
    HELICON
    Tut mir leid, wirklich. Das kommt davon, wenn man zu viel mit euch verkehrt. Alte Eheleute haben gleich viele Haare in den Ohren, so ähnlich werden sie sich am Ende.

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