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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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(atmet heftig, dann langsam)
    Dann verschwinde, meine Süße. Ein Mann von Ehre ist ein so seltenes Exemplar auf dieser Welt, dass ich seinen Anblick nicht allzu lange ertragen könnte. Ich muss allein sein, um diesen großen Augenblick zu genießen.
    5 . Szene
    ( CALIGULA betrachtet von seinem Platz aus einen Moment die Tafel. Dann nimmt er sie und liest. Er atmet heftig und ruft eine Wache.)
    CALIGULA
    Bring Cherea her!
    (Die Wache will gehen.)
    Einen Moment!
    (Die Wache bleibt stehen.)
    Rücksichtsvoll.
    (Die Wache geht. CALIGULA geht eine Weile auf und ab. Dann tritt er vor den Spiegel.)
    Du hattest beschlossen, logisch zu sein, du Idiot. Man sollte nur wissen, wie weit das führt. (Ironisch) Wenn man dir den Mond brächte, wäre alles anders, nicht wahr? Das Unmögliche würde möglich, und alles wäre damit auf einen Schlag verwandelt. Warum nicht, Caligula? Wer kann es wissen?
    (Er blickt um sich.)
    Seltsam, es sind immer weniger Leute um mich. (Zum Spiegel, mit dumpfer Stimme) Zu viele Tote, zu viele Tote, zu viele Tote, das reißt Lücken. Selbst wenn man mir den Mond brächte, könnte ich nicht zurück. Selbst wenn die Toten wieder unter dem Streicheln der Sonne erschauerten, wären die Morde deswegen nicht aus der Welt geschafft. (Wütend) Die Logik, Caligula, es muss der Logik entsprechend weitergehen. Die Macht bis zur Neige, die Schicksalsergebenheit bis zur Neige. Nein, man kann nicht zurück, man muss weitermachen bis zur Vollendung.
    ( CHEREA tritt ein.)
    6 . Szene
    ( CALIGULA sitzt, in seinen Mantel verkrochen, etwas zurückgelehnt auf seinem Sitz. Er wirkt erschöpft.)
    CHEREA
    Du hast nach mir gerufen, Gajus?
    CALIGULA (mit schwacher Stimme)
    Ja, Cherea. Wache! Fackeln!
    (Schweigen.)
    CHEREA
    Hast du mir etwas Besonderes zu sagen?
    CALIGULA
    Nein, Cherea.
    (Schweigen.)
    CHEREA (leicht gereizt)
    Bist du sicher, dass meine Anwesenheit nötig ist?
    CALIGULA
    Absolut sicher, Cherea. (Wieder eine Weile Schweigen, plötzlich zuvorkommend) Aber entschuldige. Ich bin zerstreut und bereite dir einen schlechten Empfang. Nimm Platz und lass uns als Freunde plaudern. Ich muss einmal mit jemand Intelligentem sprechen.
    ( CHEREA setzt sich. CALIGULA wirkt zum ersten Mal seit Beginn des Stückes natürlich.)
    Cherea, glaubst du, dass zwei Menschen, die in ihrer Seele und in ihrem Stolz gleich sind, wenigstens einmal im Leben offen miteinander reden können – als stünden sie sich nackt gegenüber, ohne die Vorurteile, die egoistischen Interessen und die Lügen, mit denen sie leben?
    CHEREA
    Ich halte das für möglich, Gajus. Aber ich glaube, du bist dazu unfähig.
    CALIGULA
    Du hast recht. Ich wollte nur wissen, ob du so denkst wie ich. Setzen wir also Masken auf. Benutzen wir unsere Lügen. Sprechen wir wie sorgfältig Deckung nehmende Kämpfer. Cherea, warum liebst du mich nicht?
    CHEREA
    Weil nichts Liebenswertes an dir ist, Gajus. Weil man so etwas nicht erzwingen kann. Weil ich dich zu gut verstehe und man dasjenige seiner eigenen Gesichter, das man in sich verbergen möchte, nicht lieben kann.
    CALIGULA
    Warum hasst du mich nur?
    CHEREA
    Da täuschst du dich, Gajus. Ich hasse dich nicht. Ich finde dich schädlich und grausam, egoistisch und eitel. Aber ich kann dich nicht hassen, da ich dich nicht für glücklich halte. Und ich kann dich nicht verachten, da ich weiß, dass du nicht feige bist.
    CALIGULA
    Warum willst du mich dann töten?
    CHEREA
    Ich habe es schon gesagt: ich finde dich schädlich. Ich habe einen Hang und ein Bedürfnis nach Sicherheit. Die meisten Menschen sind wie ich. Sie sind unfähig, in einer Welt zu leben, wo der absonderlichste Gedanke jeden Augenblick Wirklichkeit werden kann – und meistens auch wird – und in sie eindringt, wie ein Messer in ein Herz. Auch ich will nicht in so einer Welt leben. Ich habe mein Leben lieber selbst in der Hand.
    CALIGULA
    Sicherheit und Logik passen nicht zusammen.
    CHEREA
    Allerdings. Logisch ist es nicht, aber gesund.
    CALIGULA
    Sprich weiter.
    CHEREA
    Mehr habe ich nicht zu sagen. Ich will nicht auf deine Logik eingehen. Ich habe eine andere Vorstellung von meinen Pflichten als Mensch. Ich weiß, dass die meisten deiner Untertanen so denken wie ich. Du bist für alle ein Stein des Anstoßes. Es ist richtig, dass du verschwindest.
    CALIGULA
    Das alles ist sehr klar und sehr berechtigt. Für die meisten Menschen läge es sogar auf der Hand. Doch nicht für dich. Du bist intelligent, und Intelligenz wird teuer bezahlt oder verleugnet. Ich

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