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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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bringt.
    CHEREA
    Das ist nur eine Frage des Könnens.
    CALIGULA
    In der Tat. Die anderen sind nur aus Mangel an Können schöpferisch tätig. Ich brauche kein Werk: ich lebe. (Grob) Nun, ihr da, seid ihr so weit?
    METELLUS
    Ich glaube, wir sind so weit.
    ALLE
    Ja.
    CALIGULA
    Schön, hört mir gut zu. Ihr tretet einzeln vor. Dann pfeife ich. Der Erste fängt an zu lesen. Beim nächsten Pfiff muss er aufhören, und der Zweite fängt an. Und so weiter. Sieger ist natürlich der, dessen Werk nicht durch Pfeifen unterbrochen worden ist. Macht euch bereit. (Wendet sich zu CHEREA , vertraulich) Alles muss organisiert werden, sogar die Kunst.
    (Pfiff.)
    ERSTER DICHTER
    Tod, wenn jenseits der schwarzen Ufer …
    (Pfiff. Der DICHTER geht links hinüber. Die anderen rücken nach. Mechanisch wirkende Szene.)
    ZWEITER DICHTER
    Die drei Parzen in ihrer Grotte …
    (Pfiff.)
    DRITTER DICHTER
    Ich rufe dich herbei, o Tod …
    (Wütendes Pfeifen. Der VIERTE DICHTER tritt vor und wirft sich schwülstig in Positur. Die Pfeife ertönt, noch ehe er etwas gesagt hat.)
    FÜNFTER DICHTER
    Als ein kleines Kind ich war …
    CALIGULA
    Was für einen Zusammenhang kann schon die Kindheit eines Idioten mit dem Thema haben? Jetzt sag mir einmal, wo der Zusammenhang ist.
    FÜNFTER DICHTER
    Aber Gajus, ich bin noch nicht zu Ende …
    (Schrilles Pfeifen.)
    SECHSTER DICHTER (tritt vor und räuspert sich)
    Unerbittlich schreitet er voran …
    (Pfiff.)
    SIEBTER DICHTER (geheimnisvoll)
    Obskures und diffuses Gebet …
    (Stoßweises Pfeifen. SCIPIO tritt ohne Tafel vor.)
    CALIGULA
    Du bist dran, Scipio. Hast du keine Tafel?
    SCIPIO
    Ich brauche keine.
    CALIGULA
    Lass hören.
    (Er kaut auf seiner Pfeife.)
    SCIPIO (ganz nahe bei CALIGULA , ohne ihn anzusehen und irgendwie matt)
    «Jagd nach dem Glück, die den Menschen läutert, Himmel, an dem die Sonne glitzert, Feste, einmalig und wild, o Wahn ohne Hoffnung! …»
    CALIGULA (sanft zu SCIPIO
    Würdest du bitte aufhören? Du bist zu jung, um die wahren Lektionen des Todes zu kennen.
    SCIPIO (blickt CALIGULA fest an)
    Ich war zu jung, um meinen Vater zu verlieren.
    CALIGULA (wendet sich schroff ab)
    Los, ihr da, angetreten! Ein falscher Dichter ist eine für meinen Geschmack zu harte Strafe. Ich hatte bisher vor, euch als Verbündete zu behalten, und stellte mir manchmal vor, ihr würdet das letzte Aufgebot meiner Verteidiger bilden. Aber das ist ein eitler Traum, und ich werde euch unter meine Feinde verstoßen. Die Dichter sind gegen mich, ich kann wohl sagen, dass dies das Ende ist. Geht geordnet hinaus! Ihr werdet an mir vorbeimarschieren und dabei eure Tafeln ablecken, um die Spuren eurer Gemeinheiten zu löschen. Achtung! Vorwärts!
    (Rhythmisches Pfeifen. Sie marschieren im Takt rechts hinaus und lecken ihre unsterblichen Tafeln ab.)
    (Sehr leise) Geht alle hinaus.
    (An der Tür hält CHEREA den ERSTEN PATRIZIER an der Schulter zurück.)
    CHEREA
    Der Augenblick ist da.
    ( SCIPIO , der es gehört hat, zögert auf der Schwelle und geht zu CALIGULA .)
    CALIGULA (böse)
    Kannst du mich nicht in Frieden lassen, wie dein Vater es jetzt tut?
    13 . Szene
    SCIPIO
    Ach, Gajus, das alles ist doch überflüssig. Ich weiß schon, dass du gewählt hast.
    CALIGULA
    Lass mich.
    SCIPIO
    Ich werde dich tatsächlich lassen, denn ich glaube, ich habe dich verstanden. Weder für dich noch für mich, der ich dir so ähnlich bin, gibt es noch einen Ausweg. Ich werde sehr weit fortgehen, um die Gründe für all das zu suchen.
    (Pause; er sieht CALIGULA an.)
    (Mit starker Betonung) Leb wohl, lieber Gajus. Wenn alles vorbei ist, vergiss nicht, dass ich dich geliebt habe.
    (Er geht hinaus. CALIGULA blickt ihm nach. Er setzt zu einer Geste an. Aber dann schüttelt er sich gewaltsam und geht wieder zu CAESONIA .)
    CAESONIA
    Was hat er gesagt?
    CALIGULA
    Das übersteigt dein Verständnis.
    CAESONIA
    Woran denkst du?
    CALIGULA
    An ihn. Und auch an dich. Aber das ist dasselbe.
    CAESONIA
    Was ist?
    CALIGULA (sieht sie an)
    Scipio ist gegangen. Mit der Freundschaft habe ich abgeschlossen. Aber du, ich frage mich, warum du noch da bist.
    CAESONIA
    Weil ich dir gefalle.
    CALIGULA
    Nein. Wenn ich dich töten ließe, würde ich es, glaube ich, verstehen.
    CAESONIA
    Das wäre eine Lösung. Tu es doch. Aber kannst du dich nicht wenigstens eine Minute lang gehenlassen und frei leben?
    CALIGULA
    Darin übe ich mich schon seit mehreren Jahren.
    CAESONIA
    So meine ich es nicht. Versteh mich recht. Es kann so schön sein, in der Reinheit

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