Saemtliche Dramen
vermerken, ob es ein Reisepass ist oder ein Personalausweis.
JAN (zögernd)
Ein Reisepass. Hier. Wollen Sie ihn nicht doch sehen?
MARTHA (hat den Pass genommen, scheint ihn lesen zu wollen, doch der ALTE KNECHT erscheint im Türrahmen)
Nein, ich habe dich nicht gerufen.
(Der ALTE geht. MARTHA gibt JAN den Pass ungelesen, wie zerstreut zurück.)
Wenn Sie dort hinfahren, wohnen Sie dann am Meer?
JAN
Ja.
MARTHA (steht auf, schickt sich an, das Gästebuch zu verstauen, besinnt sich dann und schlägt es vor sich auf; unvermittelt hart)
Ah, ich habe vergessen. Haben Sie Familie?
JAN
Ich hatte eine. Aber ich habe sie vor langer Zeit verlassen.
MARTHA
Nein, ich meine, sind Sie verheiratet?
JAN
Was soll diese Frage? Die hat man mir noch in keinem Hotel gestellt.
MARTHA
Sie steht auf dem Fragebogen der Bezirksverwaltung.
JAN
Seltsam. Ja, ich bin verheiratet. Haben Sie meinen Ehering nicht bemerkt?
MARTHA
Nein. Können Sie mir die Adresse Ihrer Frau nennen?
JAN
Sie ist in ihrer Heimat geblieben.
MARTHA
Ah! Ausgezeichnet. (Schließt das Buch) Soll ich Ihnen etwas zu trinken bringen, bis das Zimmer bereit ist?
JAN
Nein, ich warte hier. Ich hoffe, das stört Sie nicht?
MARTHA
Warum sollte mich das stören? Dieser Raum ist für die Gäste gedacht.
JAN
Ja, aber ein einzelner Gast ist manchmal beschwerlicher als ein volles Haus.
MARTHA (beim Aufräumen)
Warum? Sie werden mir ja keine Geschichten machen wollen. Wer auf Vergnügungen aus ist, der ist hier an der falschen Adresse. Das hat man im Dorf schon seit langem begriffen. Sie werden bald merken, dass sie ein ruhiges Gasthaus gewählt haben. Es kommt kaum jemand her.
JAN
Schlecht für Ihre Geschäfte.
MARTHA
Uns entgehen vielleicht ein paar Einnahmen, aber dafür haben wir unsere Ruhe. Und Ruhe ist unbezahlbar. Außerdem, lieber ein guter Gast als eine lärmende Gesellschaft. Was wir suchen, ist eben der gute Gast.
JAN
Aber … (zögert) , manchmal ist das Leben für Sie sicher nicht leicht, oder? Sind Sie nicht recht einsam?
MARTHA (wendet sich ihm brüsk zu)
Hören Sie, ich muss Ihnen offenbar etwas klarmachen. Wenn Sie hier herkommen, haben Sie die Rechte eines Gastes, mehr nicht. Dafür werden Sie aber auch als Gast behandelt. Wir werden Sie gut bedienen, und ich glaube nicht, dass Sie sich je über Ihre Aufnahme bei uns beklagen müssen. Aber Sie haben nicht das Recht, sich um unsere Einsamkeit zu sorgen, und ebenso brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen, dass Sie uns stören könnten oder ob Sie uns willkommen sind oder nicht. Nehmen Sie unsere Gastfreundschaft in Anspruch, sie steht Ihnen zu. Aber beanspruchen Sie nicht mehr.
JAN
Bitte entschuldigen Sie. Es war nicht meine Absicht, Sie zu verärgern, ich habe aus Interesse gefragt. Ich hatte den Eindruck, wir seien einander gar nicht so fremd.
MARTHA
Ich sehe, ich muss Ihnen nochmals sagen, dass es nicht darum geht, mich zu verärgern oder nicht. Anscheinend wollen Sie unbedingt in einem Ton mit mir reden, der Ihnen nicht zusteht, und ich versuche, Ihnen das begreiflich zu machen. Ich tue das ohne Verärgerung, da können Sie sicher sein. Ist es nicht für uns beide besser, wenn wir eine gewisse Distanz wahren? Sollten Sie weiter eine andere Sprache als die des Gastes sprechen, dann würden wir uns ganz einfach weigern, Sie aufzunehmen. Aber wenn Sie, wie ich hoffe, verstehen wollen, dass zwei Frauen, die Ihnen ein Zimmer vermieten, nicht gezwungen sind, Sie in ihr Privatleben aufzunehmen, dann gibt es keine Probleme.
JAN
Ja, selbstverständlich. Es ist ungehörig, dass ich einen anderen Eindruck erweckt habe.
MARTHA
Das macht nichts. Sie sind nicht der Erste, der es mit diesem Ton versucht. Aber ich habe immer deutlich genug darauf reagiert, sodass es keine Missverständnisse gab.
JAN
Sie sprechen eine deutliche Sprache, tatsächlich, und ich gestehe, dass ich nichts mehr zu sagen habe … fürs Erste.
MARTHA
Warum? Nichts hindert Sie daran, zu reden wie ein Gast.
JAN
Wie redet ein Gast denn?
MARTHA
Die meisten reden über alles Mögliche, ihre Reisen, über Politik, aber nicht über uns. Darauf bestehen wir. Manche haben uns sogar von ihrem Leben erzählt und wer sie waren. Das war in Ordnung. Schließlich werden wir auch dafür bezahlt, dass wir zuhören. Aber der Übernachtungspreis verpflichtet den Wirt nicht, Fragen zu beantworten. Meine Mutter tut es manchmal, aus Gleichgültigkeit, aber ich weigere mich prinzipiell. Wenn Sie das beachten, werden wir uns
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