Saemtliche Dramen
keine Entschädigung von Ihnen verlangen. Ihre Unschlüssigkeit bedaure ich nicht unsretwegen, sondern um Ihretwillen.
JAN (stützt sich auf dem Tisch ab)
Sie brauchen mich nicht zu bedauern. Hauptsache, wir sind uns einig, und Sie behalten keine allzu schlechte Erinnerung an mich. Ich werde Ihr Haus nicht vergessen, wirklich, und ich hoffe, wenn ich eines Tages wiederkehre, bin ich in besserer Verfassung als heute.
(Sie geht wortlos auf die Tür zu.)
Noch etwas!
(Die MUTTER dreht sich um. JAN spricht mit Mühe, am Schluss jedoch leichter als zunächst.)
Ich möchte … (Er unterbricht sich.) Entschuldigen Sie, die Reise hat mich erschöpft. (Er setzt sich auf das Bett.) Ich möchte Ihnen doch wenigstens danken … Sie sollen wissen, ich werde Ihr Haus nicht wie irgendein gleichgültiger Gast verlassen.
DIE MUTTER
Ich bitte Sie, mein Herr.
(Sie geht hinaus.)
Szene 7
( JAN schaut ihr nach. Er setzt zu einer Bewegung an, lässt aber Müdigkeit erkennen. Er scheint der Mattheit nachzugeben und lehnt sich an das Kissen.)
JAN
Morgen komme ich mit Maria zurück, und dann sage ich «Ich bin’s». Ich werde sie glücklich machen. Alles ist ganz klar. Maria hatte recht. (Er seufzt, streckt sich halb aus.) Ach, ich ertrage diesen Abend nicht, alles ist so fern. (Jetzt liegt er der Länge nach, er spricht, man versteht die Worte aber nicht mehr, hört nur noch schwach seine Stimme.) Ja oder nein?
(Er bewegt sich. Er schläft. Die Bühne liegt fast in Dunkelheit. Lange Stille. Die Tür geht auf. MARTHA und die MUTTER treten ein, sie tragen eine Lampe. Der ALTE KNECHT folgt ihnen.)
Szene 8
MARTHA (nachdem sie den Körper angeleuchtet hat, mit gedämpfter Stimme)
Er schläft.
DIE MUTTER (mit der gleichen Stimme, allerdings ein wenig lauter)
Nein, Martha, deine Art, mich zu zwingen, gefällt mir nicht! Du nötigst mich dazu, es zu tun. Du fängst an, damit ich weitermachen muss. Du übergehst mein Zögern, das gefällt mir nicht!
MARTHA
Es ist einfacher so. Sie waren durcheinander, da musste ich Ihnen helfen, indem ich handelte.
DIE MUTTER
Ich weiß ja, wir müssen es zu Ende bringen. Trotzdem. So gefällt mir das nicht.
MARTHA
Denken Sie jetzt lieber an morgen; beeilen wir uns.
(Sie durchsucht die Jacke, zieht eine Brieftasche heraus und zählt die Geldscheine. Sie leert alle Taschen des Schlafenden. Dabei fällt der Pass heraus und rutscht hinter das Bett. Der ALTE KNECHT hebt ihn auf, ohne dass die Frauen es bemerken, und zieht sich zurück.)
MARTHA
So. Alles ist fertig. Bald steigt das Wasser des Flusses. Gehen wir hinunter. Wenn wir hören, wie das Wasser über das Wehr strömt, holen wir ihn. Kommen Sie!
DIE MUTTER (ruhig)
Nein, hier sitzen wir gut.
(Setzt sich.)
MARTHA
Aber … (Schaut ihre MUTTER an, dann trotzig) Glauben Sie nicht, dass ich mich fürchte. Gut, warten wir hier.
DIE MUTTER
Ja genau, warten wir. Warten ist gut, warten tut wohl. Nachher müssen wir ihn den ganzen Weg lang tragen, bis zum Fluss. Das macht mich jetzt schon müde, eine so uralte Müdigkeit, dass mein Blut nicht mehr mit ihr fertigwird. (Sie schwankt hin und her wie im Halbschlaf.) Er ahnt nichts. Er schläft. Er ist fertig mit der Welt. Alles wird von nun an leicht sein für ihn. Er wechselt bloß von einem Schlaf voller Bilder in einen traumlosen Schlaf. Was für alle anderen ein schrecklicher Abschied ist, wird für ihn nichts als ein langer Schlaf.
MARTHA (trotzig)
Dann können wir uns ja freuen! Ich hatte keinen Grund, ihn zu hassen, und ich bin froh, dass ihm wenigstens das Leiden erspart bleibt. Aber … ich glaube, das Wasser steigt. (Sie lauscht, lächelt dann.) Mutter, Mutter, bald ist alles vorbei.
DIE MUTTER (wie zuvor)
Ja, bald ist alles vorbei. Das Wasser steigt. Er ahnt nichts. Er schläft. Er weiß nicht mehr, wie mühevoll es ist, sich zu einer Arbeit zu entschließen und diese Arbeit auszuführen. Er schläft, er braucht sich nicht mehr anzustrengen, braucht sich nicht mehr zu zwingen, braucht nichts mehr von sich zu verlangen, was er nicht bewältigen kann. Er trägt nicht mehr das Joch dieses inneren Lebens, das Ausruhen, Zerstreuung, Schwäche verbietet … Er schläft und denkt nicht mehr, hat keine Pflichten mehr und keine Aufgaben, nein, nein, und ich, ich bin so alt und müde und beneide ihn, dass er jetzt schlafen und bald sterben darf. (Pause.) Du sagst gar nichts, Martha?
MARTHA
Nein. Ich lausche. Ich warte auf das Wasser.
DIE MUTTER
Gleich. Nicht mehr lang. Ja, nicht
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