Saemtliche Dramen
nichts. Manchmal bricht im letzten Moment alles zusammen.
ANNENKOW
Aber das ist doch nicht möglich.
DORA
Lass ihn. Du bist nicht der Erste, Janek. Schweitzer hat es beim ersten Mal auch nicht gekonnt.
ANNENKOW
Janek, hast du Angst gehabt?
KALJAJEW (zuckt zusammen)
Angst, nein. Das darfst du nicht behaupten!
(Es wird geklopft; das vereinbarte Zeichen. WOINOW geht auf ANNENKOWS Zeichen hinaus. KALJAJEW ist niedergeschmettert. Stille. STEPAN kommt herein.)
ANNENKOW
Und?
STEPAN
In der Kutsche des Großfürsten saßen Kinder.
ANNENKOW
Kinder?
STEPAN
Ja. Sein Neffe und seine Nichte.
ANNENKOW
Orlow hatte gesagt, der Großfürst würde allein sein.
STEPAN
Die Großfürstin fuhr auch mit. Das waren offenbar zu viele Leute für unseren Poeten. Zum Glück haben die Spitzel nichts bemerkt.
( ANNENKOW spricht leise mit STEPAN . Alle schauen auf KALJAJEW , der den Blick zu STEPAN hebt.)
KALJAJEW (hilflos)
Das konnte ich nicht vorhersehen … Kinder, vor allem die Kinder. Hast du die Kinder angesehen? Sie haben manchmal so einen ernsten Blick … In der Sekunde davor, als ich im Schatten wartete, an der Ecke des kleinen Platzes, da war ich glücklich. Als die Laternen der Kutsche aufleuchteten, fing mein Herz vor Freude an zu klopfen, das schwöre ich dir. Und es klopfte immer stärker, je näher das Rollen der Kutsche kam. Es machte richtig Lärm in mir. Ich hatte Lust herumzuspringen. Ich glaube, ich lachte. Und ich sagte «Ja, ja» … Verstehst du? (Er wendet den Blick von STEPAN ab und sitzt wieder niedergeschlagen da.) Ich lief zur Kutsche hin. Und in diesem Augenblick habe ich sie gesehen. Sie lachten nicht. Sie saßen kerzengerade da und blickten ins Leere. Wie traurig sie aussahen! Ganz verloren in ihren Paradeuniformen, die Hände auf den Schenkeln, stocksteif rechts und links im Wagen. Die Großfürstin habe ich nicht gesehen. Nur sie. Ich glaube, wenn sie mich angeschaut hätten, dann hätte ich die Bombe geworfen. Um diesen traurigen Blick auzulöschen. Aber sie starrten nur vor sich hin. (Hebt die Augen wieder zu den anderen) Ich weiß nicht, was dann passiert ist. Mein Arm war wie gelähmt. Meine Beine zitterten. Eine Sekunde danach war es zu spät. (Stille. Er schaut zu Boden.) Dora, habe ich geträumt, mir war, als würden in diesem Augenblick die Glocken läuten?
DORA
Nein, Janek, du hast nicht geträumt. (Legt ihm die Hand auf den Arm. KALJAJEW hebt wieder den Blick und merkt, wie ihn alle ansehen. Er steht auf.)
KALJAJEW
Schaut mich an, Brüder, schau mich an, Borja, ich bin kein Feigling, ich habe nicht gekniffen. Ich war einfach nicht darauf gefasst. Alles ging so schnell. Diese beiden kleinen, ernsten Gesichter und in meiner Hand dieses schreckliche Gewicht. Ich hätte es auf sie werfen müssen. So. Geradewegs. Nein! Das konnte ich nicht! (Schaut von einem zum anderen) Früher, im Auto daheim in der Ukraine, da fuhr ich schnell wie der Wind, ich hatte vor gar nichts Angst. Vor nichts auf der Welt, außer, ein Kind zu überfahren. Ich stellte mir den Aufprall vor, wie der kleine Kopf voller Wucht auf das Pflaster schlägt … (Er schweigt.) Helft mir.
(Stille.)
Ich wollte mich umbringen. Ich bin nur zurückgekommen, weil ich dachte, ich schulde euch Rechenschaft, ihr seid meine einzigen Richter, ihr werdet mir sagen, ob ich recht gehandelt habe oder nicht, ihr könnt euch nicht irren. Aber ihr sagt nichts.
( DORA geht zu ihm, berührt ihn. Er sieht die anderen an.)
(Tonlos) Hört euch an, was ich vorschlagen möchte. Wenn ihr beschließt, dass diese Kinder getötet werden müssen, dann warte ich nach dem Theater und werfe allein die Bombe auf die Kutsche. Ich weiß, dass ich mein Ziel nicht verfehlen werde. Ihr braucht es nur zu beschließen, ich werde der Organisation gehorchen.
STEPAN
Die Organisation hatte dir befohlen, den Großfürsten zu töten.
KALJAJEW
Das stimmt. Aber sie hatte nicht verlangt, dass ich Kinder umbringe.
ANNENKOW
Janek hat recht. Darauf waren wir nicht vorbereitet.
STEPAN
Er musste gehorchen.
ANNENKOW
Ich trage die Verantwortung. Man hätte auf alles vorbereitet sein müssen, damit bei niemandem der geringste Zweifel aufkommt, was er zu tun hat. Jetzt müssen wir nur entscheiden, ob wir diese Gelegenheit endgültig verstreichen lassen oder Janek befehlen, am Theater zu warten. Alexej?
WOINOW
Ich weiß nicht. Ich glaube, ich hätte es gemacht wie Janek. Aber ich bin mir meiner selbst nicht sicher.
(Leise) Mir zittern die
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