Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
Vom Netzwerk:
stehen.
    DORA (wirkt nachdenklich)
    Ja. Es gibt die vorderste Reihe, und es gibt den letzten Augenblick. Daran müssen wir denken. Darin liegt der Mut, die Begeisterung, die wir brauchen … die du brauchst.
    KALJAJEW
    Seit einem Jahr denke ich an nichts anderes. Für diesen Augenblick habe ich bis jetzt gelebt. Und ich weiß jetzt auch, dass ich an Ort und Stelle sterben will, gemeinsam mit dem Großfürsten. Mein Blut bis zum letzten Tropfen vergießen, oder im Feuer der Explosion verbrennen, auf einen Schlag, dass nichts von mir bleibt. Verstehst du, warum ich die erste Bombe werfen will? Für eine Idee sterben, das ist die einzige Möglichkeit, dieser Idee würdig zu sein. Das ist die Rechtfertigung.
    DORA
    Ich wünsche mir auch einen solchen Tod.
    KALJAJEW
    Ja, das ist ein beneidenswertes Glück. Nachts habe ich mich manchmal auf meinem Hausiererstrohsack gewälzt, weil mich nach wie vor ein Gedanke quält: Sie haben uns zu Mördern gemacht. Aber zugleich denke ich, dass ich sterben werde, und das gibt meinem Herzen Frieden. Ich lächle, weißt du, und schlafe weiter wie ein Kind.
    DORA
    Das ist gut so, Janek. Töten und sterben. Aber ich finde, es gibt ein Glück, das noch größer ist.
    (Pause. KALJAJEW schaut sie an. Sie senkt den Blick.)
    Das Schafott.
    KALJAJEW (fiebrig)
    Das habe ich auch schon gedacht. Im Augenblick des Attentats zu sterben wirkt so unfertig. Zwischen dem Attentat und dem Schafott liegt hingegen eine ganze Ewigkeit, die einzige vielleicht, die es für den Menschen gibt.
    DORA (eindringlich, greift seine Hände)
    Dieser Gedanke muss dir helfen. Wir zahlen mehr, als wir schuldig sind.
    KALJAJEW
    Wie meinst du das?
    DORA
    Wir sind gezwungen zu töten, nicht wahr? Wir opfern ganz bewusst ein Leben, ein einziges?
    KALJAJEW
    Ja.
    DORA
    Aber erst zum Attentat schreiten und dann zum Schafott, das bedeutet, zweimal sein Leben zu geben. Wir zahlen mehr, als wir schuldig sind.
    KALJAJEW
    Ja, das bedeutet, zweimal zu sterben. Danke, Dora. Niemand kann uns einen Vorwurf machen. Jetzt bin ich mir ganz sicher.
    (Pause.)
    Was ist, Dora? Du sagst gar nichts.
    DORA
    Ich würde dir gern noch mehr helfen. Nur …
    KALJAJEW
    Nur was?
    DORA
    Nein, ich bin verrückt.
    KALJAJEW
    Traust du mir nicht?
    DORA
    Oh doch, Liebster, aber ich misstraue mir. Seit Schweitzers Tod habe ich manchmal seltsame Gedanken. Außerdem ist es nicht an mir, dir zu sagen, was schwierig sein wird.
    KALJAJEW
    Ich liebe Schwierigkeiten. Wenn dir an mir liegt, dann sprich.
    DORA (sieht ihn an)
    Ich weiß. Du bist mutig. Das macht mir ja Sorgen. Du lachst, du begeisterst dich, du gehst glühend deinem Opfer entgegen. Aber in ein paar Stunden heißt es diesen Traum aufgeben und handeln. Vielleicht ist es besser, wir sprechen vorher darüber … um zu vermeiden, dass es eine Überraschung gibt, die dich schwächen könnte.
    KALJAJEW
    Ich werde nicht schwach sein. Sag mir, woran du denkst.
    DORA
    Nun gut. Das Attentat, das Schafott, zweima 1 zu sterben, das ist das Einfachste. Dein Herz wird es bestehen. Aber in der vordersten Reihe … (Schweigt, scheint zu zögern) In der vordersten Reihe, da wirst du ihn sehen …
    KALJAJEW
    Wen?
    DORA
    Den Großfürsten.
    KALJAJEW
    Eine Sekunde lang, wenn überhaupt.
    DORA
    Eine Sekunde lang, während der du ihn ansiehst! Oh Janek, das musst du wissen, du musst darauf gefasst sein! Ein Mensch ist ein Mensch. Vielleicht hat der Großfürst mitfühlende Augen. Du wirst sehen, wie er sich hinterm Ohr kratzt und fröhlich lächelt. Wer weiß, vielleicht hat er einen kleinen Schnitt vom Rasiermesser … Und wenn er dich dann ansieht, in diesem Augenblick …
    KALJAJEW
    Ich töte nicht ihn. Ich töte die Tyrannei!
    DORA
    Ja, natürlich. Die Tyrannei muss vernichtet werden. Ich werde die Bombe bauen, und wenn ich die Röhre versiegele, weißt du, im schwierigsten Moment, wenn die Nerven zum Zerreißen gespannt sind, werde ich doch ein seltsames Glücksgefühl im Herzen spüren. Aber ich kenne den Großfürsten nicht, und es fiele mir nicht so leicht, wenn er in diesem Augenblick vor mir sitzen würde. Du aber wirst ihn aus der Nähe sehen. Aus nächster Nähe …
    KALJAJEW (heftig)
    Ich werde ihn nicht sehen.
    DORA
    Wie das? Willst du die Augen zumachen?
    KALJAJEW
    Nein. Aber Gott wird mir helfen, mein Hass wird im richtigen Augenblick über mich kommen und mich blenden.
    (Es klingelt. Einmal. Sie erstarren. STEPAN und WOINOW kommen herein. Stimmen im Vorzimmer. ANNENKOW kommt herein.)
    ANNENKOW
    Der

Weitere Kostenlose Bücher