Sämtliche Dramen
Euch Euer Vater wert?
Wie, oder seid Ihr gleich dem Gram im Bilde,
Ein Antlitz ohne Herz?
Laertes
.
Wozu die Frage?
König
.
Nicht als ob ich dächte,
Ihr hättet Euren Vater nicht geliebt.
Doch weiß ich, durch die Zeit beginnt die Liebe,
Und seh’ an Proben der Erfahrung auch,
Daß Zeit derselben Glut und Funken mäßigt.
Im Innersten der Liebesflamme lebt
Eine Art von Docht und Schnuppe, die sie dämpft,
Und nichts beharrt in gleicher Güte stets:
Denn Güte, die vollblütig wird, erstirbt
Im eignen Allzuviel. Was man will tun,
Das soll man, wenn man will; denn dies »will« ändert sich,
Und hat so mancherlei Verzug und Schwächung,
Als es nur Zungen, Hände, Fälle gibt;
Dann ist dies »soll« ein prasserischer Seufzer,
Der lindernd schadet. Doch zum Kern der Sache!
Hamlet kommt her: was wollt Ihr unternehmen,
Um Euch zu zeigen Eures Vaters Sohn
In Taten mehr als Worten?
Laertes
.
Ihn in der Kirch’ erwürgen.
König
.
Mord sollte freilich nirgends Freistatt finden,
Und Rache keine Grenzen. Doch, Laertes,
Wollt Ihr dies tun, so haltet Euch zu Haus:
Wir lassen Eure Trefflichkeit ihm preisen
Und doppelt überfirnissen den Ruhm,
Den Euch der Franke gab; kurz, bringen euch zusammen,
Und stellen Wetten an auf eure Köpfe.
Er, achtlos, edel, frei von allem Arg,
Wird die Rapiere nicht genau besehn;
So könnt Ihr leicht mit ein paar kleinen Griffen
Euch eine nicht gestumpfte Klinge wählen,
Und ihn mit einem wohl geführten Stoß
Für Euren Vater lohnen.
Laertes
.
Ich will’s tun,
Und zu dem Endzweck meinen Degen salben.
Ein Scharlatan verkaufte mir ein Mittel,
So tödlich, taucht man nur ein Messer drein,
Wo ’s Blut zieht, kann kein noch so köstlich Pflaster
Von allen Kräutern unterm Mond, mit Kraft
Gesegnet, das Geschöpf vom Tode retten,
Das nur damit geritzt ist: mit dem Gift
Will ich die Spitze meines Degens netzen,
So daß es, streif’ ich ihn nur obenhin,
Den Tod ihm bringt.
König
.
Bedenken wir dies ferner,
Was für Begünstigung von Zeit und Mitteln
Zu unserm Ziel kann führen: Schlägt dies fehl,
Und blickt durch unsre schlechte Ausrührung
Die Absicht, so wär’s besser nicht versucht:
Drum muß der Plan noch einen Rückhalt haben,
Der Stich hält, wenn er in der Probe birst.
Still, laßt mich sehn! – Wir gehen feierlich
Auf euer beider Stärke Wetten ein, –
Ich hab’s:
Wenn ihr vom Fechten heiß und durstig seid
(Ihr müßt deshalb die Gänge heft’ger machen),
Und er zu trinken fodert, soll ein Kelch
Bereit stehn, der, wenn er davon nur nippt,
Entging’ er etwa Eurem gift’gen Stich,
Noch unsern Anschlag sichert. Aber still!
Was für ein Lärm?
Die Königin kommt.
Nun, werte Königin?
Königin
.
Ein Leiden tritt dem andern auf die Fersen,
So schleunig folgen sie:
Laertes, Eure Schwester ist ertrunken.
Laertes
.
Ertrunken, sagt Ihr? Wo?
Königin
.
Es neigt ein Weidenbaum sich übern Bach
Und zeigt im klaren Strom sein graues Laub,
Mit welchem sie phantastisch Kränze wand
Von Hahnfuß, Nesseln, Maßlieb, Kuckucksblumen.
Dort, als sie aufklomm, um ihr Laubgewinde
An den gesenkten Ästen aufzuhängen,
Zerbrach ein falscher Zweig, und nieder fielen
Die rankenden Trophäen und sie selbst
Ins weinende Gewässer. Ihre Kleider
Verbreiteten sich weit und trugen sie
Sirenengleich ein Weilchen noch empor,
Indes sie Stellen alter Weisen sang,
Als ob sie nicht die eigne Not begriffe,
Wie ein Geschöpf, geboren und begabt
Für dieses Element. Doch lange währt’ es nicht,
Bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken,
Das arme Kind von ihren Melodien
Hinunterzogen in den schlamm’gen Tod.
Laertes
.
Ach, ist sie denn ertrunken?
Königin
.
Ertrunken.
Laertes
.
Zu viel des Wassers hast du, arme Schwester!
Drum halt’ ich meine Tränen auf. Und doch
Ist’s unsre Art; Natur hält ihre Sitte,
Was Scham auch sagen mag: sind die erst fort,
So ist das Weib heraus. – Lebt wohl, mein Fürst!
Ich habe Flammenworte, welche gern
Auflodern möchten, wenn nur diese Torheit
Sie nicht ertränkte.
Ab.
König
.
Laßt uns folgen, Gertrud!
Wie hatt’ ich Mühe, seine Wut zu stillen!
Nun, fürcht’ ich, bricht dies wieder ihre Schranken:
Drum laßt uns folgen!
Ab.
¶
FÜNFTER AUFZUG
Erste Szene
Ein Kirchhof.
Zwei Totengräber kommen mit Spaten u.s.w.
Erster Totengräber
. Soll die ein christlich Begräbnis erhalten, die vorsätzlich ihre eigne Seligkeit sucht?
Zweiter Totengräber
. Ich sage dir, sie
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