Sämtliche Dramen
Leute;
Und was mir nützt, das acht’ ich gute Beute.
Er geht ab.
¶
Dritte Szene
Vor dem Palast des Herzogs von Albanien.
Goneril und der Haushofmeister.
Goneril
.
Schlug mein Vater meinen Diener, weil er seinen
Narren schalt?
Haushofmeister
.
Ja, gnäd’ge Frau!
Goneril
.
Bei Tag und Nacht! er kränkt mich! – Jede Stunde
Bricht er hervor mit der und jener Unbill,
Die uns verstimmt und stört: ich duld’ es nicht.
Die Ritter werden frech, er selber schilt
Um jeden Tand. Wenn er vom Jagen kommt,
Will ich ihn jetzt nicht sehn; sag, ich sei krank.
Wenn Ihr in Eurem Dienst saumsel’ger werdet,
So tut Ihr recht; die Schuld nehm’ ich auf mich.
Trompeten.
Haushofmeister
.
Jetzt kommt er, gnäd’ge Frau, ich hör’ ihn schon.
Goneril
.
Zeigt ihm so träge Lässigkeit ihr wollt,
Du und die andern; ich wollt’, es käm’ zur Sprache.
Wenn’s ihm mißfällt, so zieh’ er hin zur Schwester,
Die darin, weiß ich, einig ist mit mir,
Und sich nicht meistern läßt. Der greise Tor,
Der immer noch die Macht behaupten will,
Die er verschenkt hat! Nun, bei meinem Leben,
Das Alter kehrt zur Kindheit, und es braucht
Der strengen Zucht, wenn Güte ward mißbraucht.
Merk’ dir, was ich gesagt! –
Haushofmeister
.
Wohl, gnäd’ge Frau!
Goneril
.
Und seinen Rittern gönnt nur kalte Blicke,
Was draus erwächst, gleichviel; sagt das den andern auch:
Ich nehme wohl Gelegenheit hieraus,
Mich zu erklären. Meiner Schwester schreib’ ich gleich,
Daß sie verfährt wie ich. Besorg’ das Mahl!
Sie gehn ab.
¶
Vierte Szene
Ebendaselbst.
Kent tritt auf, verkleidet.
Kent
.
Kann ich so gut nur fremde Sprache borgen,
Die meine Red’ entstellt, so mag vielleicht
Mein guter Will’ in vollem Maß erstreben
Das Ziel, um das mein Wesen ich verhüllte. –
Nun, du verbannter Kent,
Kannst du dort dienen, wo man dich verdammt,
(Und geb’ es Gott!) soll dein geliebter Herr
Dich unermüdlich finden.
Jagdhörner hinter der Szene; Lear, Ritter und Gefolge treten auf.
Lear
. Laßt mich keinen Augenblick auf das Essen warten; geht, laßt anrichten!
Einer vom Gefolge geht ab.
Nun, wer bist du?
Kent
. Ein Mann, Herr!
Lear
. Was ist dein Beruf? Was willst du von uns?
Kent
. Mein Beruf ist, nicht weniger zu sein, als ich scheine; dem treu zu dienen, der’s mit mir versuchen will; den zu lieben, der ehrlich ist; mit dem zu verkehren, der Verstand hat und wenig spricht; den guten Leumund zu achten, zu fechten, wenn ich’s nicht ändern kann, und keine Fische zu essen.
Lear
. Wer bist du?
Kent
. Ein recht treuherziger Kerl und so arm als der König.
Lear
. Wenn du als Untertan so arm bist, wie er als König, dann bist du arm genug. Was willst du?
Kent
. Dienst.
Lear
. Wem willst du dienen?
Kent
. Euch.
Lear
. Kennst du mich, Alter? –
Kent
. Nein; aber Ihr habt etwas in Eurem Wesen, das ich gern Herr nennen möchte.
Lear
. Was ist das?
Kent
. Hoheit.
Lear
. Was für Dienste kannst du tun?
Kent
. Ich kann ein erlaubtes Geheimnis verschweigen, reiten, laufen, eine hübsche Geschichte langweilig erzählen, und eine deutliche Botschaft schlicht bestellen: wozu ein gewöhnlicher Mensch brauchbar ist, dafür tauge ich, und das Beste an mir ist Fleiß.
Lear
. Wie alt bist du?
Kent
. Nicht so jung, Herr, ein Mädchen ihres Gesanges wegen zu lieben, noch so alt, um ohne alle Ursache in sie vergafft zu sein; ich habe achtundvierzig Jahre auf dem Rücken.
Lear
. Folge mir, du sollst mir dienen; wenn du mir nach dem Essen nicht schlechter gefällst, so trennen wir uns nicht so bald. – Das Essen, holla! das Essen! – Wo ist mein Bursch, mein Narr? – Geh’ einer und ruf’ mir meinen Narren her!
Der Haushofmeister kommt.
Ihr da! – He! – Wo ist meine Tochter?
Haushofmeister
. Verzeiht mir – Er geht ab.
Lear
. Was sagt der Schlingel da? Ruft den Tölpel zurück! Wo ist mein Narr, he? – Ich glaube, die Welt liegt im Schlaf. Nun? Wo bleibt der Lümmel? –
Ritter
. Er sagt, Mylord, Eurer Tochter sei nicht wohl.
Lear
. Warum kam denn der Flegel nicht zurück, als ich ihn rief?
Ritter
. Herr, er sagte mir sehr rund heraus, er wolle nicht.
Lear
. Er wolle nicht?
Ritter
. Mylord, ich weiß nicht, was vorgeht; aber nach meiner Ansicht begegnet man Eurer Hoheit nicht mehr mit der ehrerbietigen Aufmerksamkeit, wie man pflegte; es zeigt sich ein großes Abnehmen der Höflichkeit sowohl bei der Dienerschaft als auch beim Herzog und Eurer Tochter selbst.
Lear
. Ha! Meinst du?
Weitere Kostenlose Bücher