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Sämtliche Dramen

Sämtliche Dramen

Titel: Sämtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Shakespeare
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unbekümmert, furchtlos vor Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; ohne Scheu vor dem Tod, und ein ruchloser Mörder.
    Herzog
. Ihm fehlt Belehrung.
    Schliesser
. Die hört er nicht an; er hat jederzeit viel Freiheit im Gefängnis gehabt; man könnte ihm freistellen zu entfliehen, er würde es nicht tun. Er berauscht sich mehrmals am Tage; oft ist er mehrere Tage hinter einander betrunken. Mehr als einmal haben wir ihn geweckt, als wollten wir ihn zur Hinrichtung führen, und ihm einen vorgeblichen Befehl dafür gezeigt: es hat nicht den mindesten Eindruck auf ihn gemacht.
    Herzog
. Hernach mehr von ihm. Auf Eurer Stirn, Kerkermeister, stehn Redlichkeit und Entschlossenheit geschrieben; lese ich nicht recht, so täuscht mich meine alte Erfahrung. Indes, im Vertrauen auf mein sichres Urteil will ich’s drauf wagen. Claudio, für dessen Hinrichtung Ihr jetzt den Befehl habt, ist dem Gesetz nicht mehr verfallen als Angelo, der ihn verurteilt hat. Euch davon durch eine augenscheinliche Probe zu versichern, bedarf es nur eines Aufschubs von vier Tagen, während dessen Ihr mir eine augenblickliche und gewagte Gefälligkeit erzeigen sollt.
    Schliesser
. Und worin, ehrwürdiger Herr?
    Herzog
. Indem Ihr seinen Tod verschiebt!
    Schliesser
. Ach, wie kann ich das? Da mir die Stunde bestimmt und der ausdrückliche Befehl zugesandt ist, bei Todesstrafe seinen Kopf dem Angelo vor Augen zu bringen? Ich würde mir Claudios Schicksal zuziehn, wollte ich nur im geringsten hievon abweichen.
    Herzog
. Bei meinem Ordensgelübde will ich Euch für alles einstehn, wenn Ihr meiner Leitung zu folgen wagt. Laßt diesen Bernardin heut morgen hinrichten und schickt seinen Kopf dem Angelo!
    Schliesser
. Angelo sah sie beide und würde das Gesicht erkennen.
    Herzog
. Oh, der Tod ist Meister im Entstellen, und Ihr könnt ihm zu Hülfe kommen. Schert ihm das Haupt, kürzt ihm den Bart, und sagt, der reuige Sünder habe dies vor seinem Tode so verlangt: Ihr wißt, daß der Fall häufig vorkommt. Wenn Euch irgend etwas hieraus erwächst, als Dank und gutes Glück: bei dem Heiligen, dem ich mich geweiht, so will ich’s mit meinem Leben vertreten.
    Schliesser
. Verzeiht mir, guter Pater, es ist gegen meinen Eid.
    Herzog
. Schwurt Ihr dem Herzog oder seinem Statthalter?
    Schliesser
. Dem Herzog und seinem Stellvertreter.
    Herzog
. Ihr würdet nicht glauben, Euch vergangen zu haben, wenn der Herzog dies Verfahren billigte?
    Schliesser
. Aber welche Wahrscheinlichkeit hätte ich dafür?
    Herzog
. Nicht nur eine Möglichkeit, nein, eine Gewißheit. Doch weil ich Euch furchtsam sehe, und weder meine Ordenstracht, meine lautre Gesinnung, noch meine Überredung Euch gewinnen können, so will ich weiter gehn, als ich mir’s vorgesetzt, um alle Furcht in Euch zu vernichten. Seht her, Freund! Hier ist des Herzogs Handschrift und Siegel. Ihr kennt die Schrift ohne Zweifel, und das Petschaft wird Euch nicht fremd sein.
    Schliesser
. Ich kenne sie beide.
    Herzog
. Dieser Brief meldet des Herzogs Rückkehr; Ihr sollt ihn sogleich nach Gefallen durchlesen, und werdet sehn, daß er binnen zwei Tagen hier sein wird. Dies ist ein Umstand, den Angelo nicht weiß; denn eben heut erhält er Briefe von sonderbarem Inhalt: vielleicht daß der Herzog gestorben, vielleicht daß er in ein Kloster gegangen sei; aber wohl nichts von dem, was hier geschrieben steht. Seht, der Morgenstern macht den Schäfer schon munter. Staunt nicht zu sehr, wie alles dies zusammenhängt; alle Schwierigkeiten sind leichter, wenn man sie kennt. – Ruft Eure Scharfrichter, und herab mit Bernardinos Haupt; ich will sogleich seine Beichte hören und ihn für ein beßres Leben vorbereiten. Ich sehe, Ihr seid noch erstaunt; aber dies muß Euch durchaus zur Entschließung bringen. Kommt mit, es ist schon lichte Dämmerung.
    Beide ab.
    ¶

Dritte Szene
    Anderes Zimmer im Gefängnis.
    Pompejus tritt auf.
    Pompejus
. Ich bin hier so bekannt, als ich’s in unserm eignen Hause war; man sollte meinen, es wäre das Haus der Frau Überley, denn hier kommen eine Menge von ihren alten Kunden zusammen. Fürs erste ist hier der junge Herr Rasch; der sitzt hier für eine Provision von Packpapier und altem Ingwer, hundertsiebenundneunzig Pfund zusammen, woraus er fünf Mark bares Geld gemacht; freilich muß der Ingwer eben nicht sehr gesucht gewesen sein, und die alten Weiber waren wohl eben alle gestorben. Dann ist hier ein Herr Capriole, den Meister Dreihaar, der Seidenhändler, eingeklagt hat: für ein drei

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