Sämtliche Dramen
auf.
Escalus
. Jeder Brief, den er schreibt, widerspricht dem vorhergehenden.
Angelo
. Auf die ungleichste und widersinnigste Weise. Seine Handlungen erscheinen fast wie Wahnsinn; der Himmel gebe, daß sein Verstand nicht gelitten habe! Und warum ihm vor dem Tore entgegen kommen und unsre Ämter dort niederlegen? –
Escalus
. Ich errate es nicht.
Angelo
. Und warum sollen wir eben in der Stunde seiner Ankunft ausrufen lassen, daß, wenn jemand über Unrecht zu klagen hat, er sein Gesuch auf offener Straße anbringen möge?
Escalus
. Hierfür gibt er Gründe an: er will alle Klagen auf einmal abtun und uns für die Zukunft vor Streitigkeiten sicher stellen, die alsdann keine Kraft mehr gegen uns haben sollen.
Angelo
.
Wohl; ich ersuch’ Euch, macht’s der Stadt bekannt.
Auf nächsten Morgen früh hol’ ich Euch ab;
Und teilt es allen mit, die Rang und Amt
Befugt, ihn einzuholen.
Escalus
.
Das will ich, Herr; so lebt denn wohl!
Angelo
.
Gut’ Nacht! –
Escalus geht ab.
Die Tat nimmt allen Halt mir, stumpft den Sinn
Und lähmt mein Handeln. – Ein entehrtes Mädchen! –
Und durch den höchsten Richter, der die Strafe
Geschärft! Wenn zarte Scheu ihr nicht verwehrte,
Den jungfräulichen Raub bekannt zu machen,
Wie könnte sie mich zeichnen! Doch Vernunft
Zwingt sie zum Schweigen. Denn des Zutrauns Wucht
Folgt so gewaltig meiner Würd’ und Hoheit,
Daß, wagt der Läst’rer einzeln dran zu rühren,
Er sich vernichtet. – Mocht’ er leben bleiben!
Doch seiner wilden Jugend hitzig Blut
Konnt’ einst in Zukunft wohl auf Rache denken,
Wenn ihm ein so entehrtes Leben ward
Erkauft durch solche Schmach. – Lebt’ er doch lieber! –
Ach, wenn uns erst erlosch der Gnade Licht,
Nichts geht dann recht, wir wollen, wollen nicht! –
Geht ab.
¶
Fünfte Szene
Feld vor der Stadt.
Es treten auf der Herzog in eigner Tracht und Bruder Peter.
Herzog
.
Die Briefe bringt mir zur gelegnen Zeit;
gibt ihm Briefe
Der Schließer weiß um unsern Zweck und Plan.
Die Sach’ ist nun im Gang; folgt Eurer Vorschrift
Und schreitet fest zum vorgesetzten Ziel,
Wenn Ihr auch manchmal ablenkt hier und dort,
Wie sich der Anlaß beut. Geht vor beim Flavius
Und sagt ihm, wo ich sei; das Gleiche meldet
Dem Valentin, dem Roland und dem Crassus,
Und heißt zum Tor sie die Trompeten senden;
Doch Flavius schickt zuerst!
Peter
.
Ich werd’ es schnell besorgen.
Geht ab.
Varrius tritt auf.
Herzog
.
Dank, Varrius, daß du kamst in solcher Eil’;
Komm, gehn wir, denn es gibt noch andre Freunde,
Die uns begrüßen wollen, lieber Varrius.
Alle gehn ab.
¶
Sechste Szene
Straße beim Tor.
Isabella und Mariane treten auf.
Isabella
.
Dies unbestimmte Reden fällt mir schwer;
Gern spräch’ ich wahr; doch so ihn anzuklagen
Ist Eure Rolle. – Dennoch muß ich’s tun,
Um unsern Plan zu bergen, wie er sagt.
Mariane
.
Folgt ihm nur ganz!
Isabella
.
Und ferner warnt er, daß, wenn allenfalls
Er spräche wider mich für meinen Feind,
Mich’s nicht befremden soll: es sei Arznei,
Bitter, doch heilsam.
Mariane
.
Wenn nur Bruder Peter. ...
Isabella
.
O still, da kommt er schon.
Bruder Peter tritt auf.
Peter
.
Kommt, Fräulein, einen höchst gelegnen Platz
Fand ich, wo Euch der Herzog nicht entgeht.
Zweimal gab die Trompete schon das Zeichen;
Die Edeln nebst den Würdigsten der Stadt
Sind schon am Tor versammelt, und alsbald
Beginnt des Herzogs Einzug. Darum eilt! –
Sie gehn ab.
¶
FÜNFTER AUFZUG
Erste Szene
Ein öffentlicher Platz am Tor.
Von der einen Seite treten auf Mariane, verschleiert; Isabella und Bruder Peter; – von der andern der Herzog, Varrius, Herren vom Hofe, Angelo Escalus, Lucio, der Schließer und Bürger aus der Stadt.
Herzog
.
Seid mir willkommen, mein sehr würd’ger Vetter;
Uns freut’s, zu sehn Euch, alter, treuer Freund!
Angelo
und
Escalus
.
Beglückt sei Eurer Hoheit Wiederkehr!
Herzog
.
Euch beiden herzlichen, vielfachen Dank!
Wir haben uns erkundigt, und vernehmen
So trefflich Lob von eurer Staatsverwaltung,
Wie’s öffentlichen Dank von uns erheischt,
Bis auf vollkommnern Lohn.
Angelo
.
Euch um so mehr verpflichtet!
Herzog
.
Oh! Solch Verdienst spricht laut; ich tät’ ihm Unrecht,
Schlöss’ ich’s in meiner Brust verschwiegne Haft,
Da es verdient, mit erzner Schrift bewahrt
Unwandelbar dem Zahn der Zeit zu trotzen
Und des Vergessens Sichel. Reicht die Hand,
Zeigt Euch dem Volk, damit es so erfahre,
Wie äußre
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