Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sämtliche Dramen

Sämtliche Dramen

Titel: Sämtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Shakespeare
Vom Netzwerk:
täuschende Lebenshoffnung gebildet, die ich allmählich herabgestimmt habe; und jetzt ist er gefaßt zu sterben.
    Escalus
. Ihr habt dem Himmel Euer Gelübde und gegen den Gefangenen alle Pflichten Eures Berufs erfüllt. Ich habe mich für den armen jungen Mann bis an die äußerste Grenze meiner Zurückhaltung verwendet; aber meines Mitbruders Gerechtigkeitssinn zeigte sich so strenge, daß er mich zwang, ihm zu sagen, er sei in der Tat die Gerechtigkeit selbst.
    Herzog
. Wenn sein eigner Wandel dieser Schroffheit seines Verfahrens entspricht, so wird sie ihm wohl anstehn; sollte er aber fehlen, so hat er sich sein eignes Urteil gesprochen.
    Escalus
. Ich gehe, den Gefangnen zu besuchen. Lebt wohl! –
    Herzog
.
    Friede sei mit Euch! –
    Escalus und der Schließer gehn ab.
    Wem Gott vertraut des Himmels Schwert,
    Muß heilig sein und ernst bewährt;
    Selbst ein Muster, uns zu leiten,
    So festzustehn, wie fortzuschreiten;
    Gleiches Maß den fremden Fehlen,
    Wie dem eignen Frevel wählen.
    Schande dem, der tödlich schlägt
    Unrecht, das er selber hegt!
    Schmach, Angelo, Schmach deinem Richten,
    Der fremde Spreu nur weiß zu sichten!
    Wie oft birgt innre, schwere Schuld,
    Der außen Engel scheint an Huld;
    Wie oft hat Schein, in Sünd’ erzogen,
    Der Zeiten Auge schon betrogen,
    Daß er mit dünnen Spinneweben
    Das Schwerste, Gröbste mag erheben! –
    List gegen Bosheit wend’ ich nun:
    Lord Angelo soll heute ruhn
    Bei der Verlobten, erst Verschmähten:
    So soll der Trug den Trug vertreten,
    Falschheit die Falschheit überwinden,
    Und neu der alte Bund sich gründen.
    Ab.
    ¶

VIERTER AUFZUG
Erste Szene
    Zimmer in Marianens Hause.
    Mariane sitzend; ein Knabe singt.
    Lied
    Bleibt, o bleibt, ihr Lippen, ferne,
    Die so lieblich falsch geschworen;
    Und ihr Augen, Morgensterne,
    Die mir keinen Tag geboren!
    Doch den Kuß gib mir zurück,
    Gib zurück,
    Falsches Siegel falschem Glück,
    Falschem Glück! –
    Mariane
.
    Brich ab dein Lied und eile schnell hinweg;
    Hier kommt ein Mann des Trostes, dessen Rat
    Oft meinen wildempörten Gram gestillt.
    Knabe ab. Der Herzog tritt auf.
    O lieber Herr, verzeiht! Ich wünschte fast,
    Ihr hättet nicht so sangreich mich gefunden.
    Entschuldigt mich und glaubt, wie ich’s Euch sage,
    Es war nicht Lust, nur Mild’rung meiner Plage.
    Herzog
.
    Recht wohl; doch üben Töne Zauberkraft,
    Die Schlimmes gut, aus Gutem Schlimmes schafft. –
    Ich bitt’ Euch, sagt mir, hat hier jemand heut nach mir gefragt? Eben um diese Stunde versprach ich, ihn hier zu treffen.
    Mariane
. Es hat niemand nach Euch gefragt; ich habe hier den ganzen Tag gesessen.
    Isabella kommt.
    Herzog
. Ich glaube Euch zuversichtlich; die Zeit ist da: eben jetzt. Ich muß Euch bitten, Euch auf einen Augenblick zu entfernen; ich denke, wir sprechen uns gleich wieder, um für Euch etwas Gutes einzuleiten.
    Mariane
.
    Ich bin Euch stets verpflichtet.
    Ab.
    Herzog
.
    Seid höchlich mir willkommen! –
    Wie ist’s mit diesem trefflichen Regenten?
    Isabella
.
    Sein Garten ist umringt von einer Mauer,
    Die gegen West an einen Weinberg lehnt;
    Und zu dem Weinberg führt ein Lattentor,
    Das dieser größre Schlüssel öffnen wird;
    Der andre schließt ein kleines Pförtchen auf,
    Das aus dem Weinberg in den Garten führt:
    Dort hab’ ich zugesagt mich einzustellen,
    Grad’ in der Stunde ernster Mitternacht.
    Herzog
.
    Doch seid Ihr auch gewiß, den Weg zu finden?
    Isabella
.
    Ich merkte alles sorglich und genau;
    Mit flüsternd und höchst sündenvollem Eifer
    Genau vorzeichnend alles, wies er mir
    Zweimal den Weg.
    Herzog
.
    Sind keine andre Zeichen
    Von Euch bestimmt, die sie zu merken hat?
    Isabella
.
    Nein; nur daß wir im Dunkel uns begegnen,
    Und ich ihm eingeschärft, nur kurze Zeit
    Könn’ ich verweilen; denn, so sagt’ ich ihm,
    Begleiten werd’ ein Mädchen mich dahin,
    Die auf mich wart’, und deren Meinung sei,
    Ich komm’ des Bruders halber.
    Herzog
.
    Wohl erdacht;
    Ich habe von dem allen noch kein Wort
    Marianen mitgeteilt. – He! Fräulein, kommt! –
    Mariane kommt wieder.
    Ich bitt’ Euch, macht Bekanntschaft mit der Jungfrau,
    Sie kommt, Euch zu verpflichten.
    Isabella
.
    Ja, so wünsch’ ich’s.
    Herzog
.
    Vertraut Ihr mir, daß ich Euch lieb’ und achte?
    Mariane
.
    Ich weiß, Ihr tut’s, und hab’ es schon erfahren.
    Herzog
.
    So nehmt denn diese Freundin an der Hand
    Und hört, was sie Euch jetzt erzählen wird.
    Ich werd’ Euch hier erwarten. – Eilt indes,
    Die feuchte Nacht ist

Weitere Kostenlose Bücher