Sämtliche Dramen
Jetzt seid Ihr aus dem Text gekommen. Doch will ich den Vorhang wegziehn, und Euch das Gemälde weisen. Sie entschleiert sich. Seht, Herr, so sah ich in diesem Augenblick aus. Ist die Arbeit nicht gut?
Viola
. Vortrefflich, wenn sie Gott allein gemacht hat.
Olivia
. Es ist echte Farbe, Herr; es hält Wind und Wetter aus.
Viola
.
’s ist reine Schönheit, deren Rot und Weiß
Natur mit zarter, schlauer Hand verschmelzte:
Fräulein, Ihr seid die Grausamste, die lebt,
Wenn Ihr zum Grabe diese Reize tragt,
Und laßt der Welt kein Abbild.
Olivia
. O Herr, ich will nicht so hartherzig sein: ich will Verzeichnisse von meiner Schönheit ausgehn lassen; es wird ein Inventarium davon gemacht, und jedes Teilchen und Stückchen meinem Testamente angehängt: als item, zwei leidlich rote Lippen; item, zwei blaue Augen nebst Augenlidern dazu; item, ein Hals, ein Kinn und so weiter. Seid Ihr hieher geschickt, um mich zu taxieren?
Viola
.
Ich seh’ Euch, wie Ihr seid: Ihr seid zu stolz;
Doch wärt Ihr auch der Teufel, Ihr seid schön.
Mein Herr und Meister liebt Euch: solche Liebe
Kann nur vergolten werden, würdet Ihr
Als Schönheit ohnegleichen auch gekrönt.
Olivia
.
Wie liebt er mich?
Viola
.
Mit Tränenflut der Anbetung, mit Stöhnen,
Das Liebe donnert, und mit Flammenseufzern.
Olivia
.
Er kennt mich, daß ich ihn nicht lieben kann.
Doch halt’ ich ihn für tugendhaft, ich weiß,
Daß er von edlem Stamm, von großen Gütern,
In frischer, fleckenloser Jugend blüht;
Geehrt vom Ruf, gelehrt, freigebig, tapfer,
Und von Gestalt und Gaben der Natur
Ein feiner Mann; doch kann ich ihn nicht lieben.
Er konnte längst sich den Bescheid erteilen.
Viola
.
O liebt’ ich Euch mit meines Herren Glut,
Mit solcher Pein, so todesgleichem Leben,
Ich fänd’ in Euerm Weigern keinen Sinn,
Ich würd’ es nicht verstehn.
Olivia
.
Nun wohl, was tätet Ihr?
Viola
.
Ich baut’ an Eurer Tür ein Weidenhüttchen,
Und riefe meiner Seel’ im Hause zu,
Schrieb’ fromme Lieder der verschmähten Liebe,
Und sänge laut sie durch die stille Nacht,
Ließ’ Euern Namen an die Hügel hallen,
Daß die vertraute Schwätzerin der Luft
»Olivia!« schrie! Oh, Ihr solltet mir
Nicht Ruh’ genießen zwischen Erd’ und Himmel,
Bevor Ihr Euch erbarmt!
Olivia
.
Wer weiß, wie weit
Ihr’s bringen könntet! Wie ist Eure Herkunft?
Viola
.
Obschon mir’s wohl geht, über meine Lage:
Ich bin ein Edelmann.
Olivia
.
Geht nur zu Eurem Herrn:
Ich lieb’ ihn nicht: laßt ihn nicht weiter schicken,
Wo Ihr nicht etwa wieder zu mir kommt,
Um mir zu melden, wie er’s nimmt. Lebt wohl!
Habt Dank für Eure Müh’! Denkt mein hiebei!
Viola
.
Steckt Euern Beutel ein, ich bin kein Bote;
Mein Herr bedarf Vergeltung, nicht ich selbst.
Die Liebe härte dessen Herz zu Stein,
Den Ihr einst liebt, und der Verachtung nur
Sei Eure Glut, wie meines Herrn, geweiht!
Gehabt Euch wohl dann, schöne Grausamkeit!
Ab.
Olivia
.
Wie ist Eure Herkunft?
»Obschon mir’s wohl geht, über meine Lage:
Ich bin ein Edelmann.« – Ich schwöre drauf;
Dein Antlitz, deine Zunge, die Gebärden,
Gestalt und Mut, sind dir ein fünffach Wappen.
Doch nicht zu hastig! nur gemach, gemach!
Der Diener müßte denn der Herr sein. – Wie?
Weht Ansteckung so gar geschwind uns an?
Mich deucht, ich fühle dieses Jünglings Gaben
Mit unsichtbarer, leiser Überraschung
Sich in mein Auge schleichen. – Wohl, es sei!
Heda, Malvolio!
Malvolio kommt.
Malvolio
.
Hier, Fräulein; zu Befehl.
Olivia
.
Lauft diesem eigensinn’gen Abgesandten
Des Grafen nach; er ließ hier diesen Ring,
Was ich auch tat: sagt ihm, ich wollt’ ihn nicht.
Nicht schmeicheln soll er seinem Herrn, noch ihn
Mit Hoffnung täuschen; nimmer werd’ ich sein.
Wenn etwa morgen hier der junge Mensch
Vorsprechen will, soll er den Grund erfahren.
Mach’ fort, Malvolio!
Malvolio
.
Das will ich, Fräulein.
Ab.
Olivia
.
Ich tu’, ich weiß nicht was: wofern nur nicht
Mein Auge mein Gemüt zu sehr besticht.
Nun walte, Schicksal! Niemand ist sein eigen;
Was sein soll, muß geschehn: so mag sich’s zeigen!
Ab.
¶
ZWEITER AUFZUG
Erste Szene
Die Seeküste.
Antonio und Sebastian treten auf.
Antonio
. Wollt Ihr nicht länger bleiben? und wollt auch nicht, daß ich mit Euch gehe?
Sebastian
. Mit Eurer Erlaubnis, nein. Meine Gestirne schimmern dunkel auf mich herab: die Mißgunst meines Schicksals könnte vielleicht das Eurige anstecken. Ich muß mir daher Eure
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