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Sämtliche Werke

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
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Ritter.
    Klärchen .
    O, du dürftest die ganze Welt über dich richten lassen. – Der Sammet ist gar zu herrlich, und die Passementarbeit! Und das Gestickte! – Man weiß nicht, wo man anfangen soll.
    Egmont .
    Sieh dich nur satt.
    Klärchen .
    Und das goldne Vlies! Ihr erzähltet mir die Geschichte und sagtet, es sei ein Zeichen alles Großen und Kostbaren, was man mit Müh und Fleiß verdient und erwirbt. Es ist sehr kostbar – Ich kann’s deiner Liebe vergleichen. – Ich trage sie ebenso am Herzen – und hernach –
    Egmont .
    Was willst du sagen?
    Klärchen .
    Hernach vergleicht sich’s auch wieder nicht.
    Egmont .
    Wieso?
    Klärchen .
    Ich habe sie nicht mit Müh und Fleiß erworben, nicht verdient.
    Egmont .
    In der Liebe ist es anders. Du verdienst sie, weil du dich nicht darum bewirbst – und die Leute erhalten sie auch meist allein, die nicht darnach jagen.
    Klärchen .
    Hast du das von dir abgenommen? Hast du diese stolze Anmerkung über dich selbst gemacht? Du, den alles Volk liebt?
    Egmont .
    Hätt’ ich nur etwas für sie getan! Könnt’ ich etwas für sie tun! Es ist ihr guter Wille, mich zu lieben.
    Klärchen .
    Du warst gewiss heute bei der Regentin?
    Egmont .
    Ich war bei ihr.
    Klärchen .
    Bist du gut mit ihr?
    Egmont .
    Es sieht einmal so aus. Wir sind einander freundlich und dienstlich.
    Klärchen .
    Und im Herzen?
    Egmont .
    Will ich ihr wohl. Jedes hat seine eignen Absichten. Das tut nichts zur Sache. Sie ist eine treffliche Frau, kennt ihre Leute und sähe tief genug, wenn sie auch nicht argwöhnisch wäre. Ich mache ihr viel zu schaffen, weil sie hinter meinem Betragen immer Geheimnisse sucht, und ich keine habe.
    Klärchen .
    So gar keine?
    Egmont .
    Eh nun! Einen kleinen Hinterhalt. Jeder Wein setzt Weinstein in den Fässern an mit der Zeit. Oranien ist doch noch eine bessere Unterhaltung für sie und eine immer neue Aufgabe. Er hat sich in den Kredit gesetzt, dass er immer etwas Geheimes vorhabe: Und nun sieht sie immer nach seiner Stirne, was er wohl denken, auf seine Schritte, wohin er sie wohl richten möchte.
    Klärchen .
    Verstellt sie sich?
    Egmont .
    Regentin, und du fragst?
    Klärchen .
    Verzeiht, ich wollte fragen: Ist sie falsch?
    Egmont .
    Nicht mehr und nicht weniger als jeder, der seine Absichten erreichen will.
    Klärchen .
    Ich könnte mich in die Welt nicht finden. Sie hat aber auch einen männlichen Geist, sie ist ein ander Weib als wir Näherinnen und Köchinnen. Sie ist groß, herzhaft, entschlossen.
    Egmont .
    Ja, wenn’s nicht gar zu bunt geht. Diesmal ist sie doch ein wenig aus der Fassung.
    Klärchen .
    Wieso?
    Egmont .
    Sie hat auch ein Bärtchen auf der Oberlippe und manchmal einen Anfall von Podagra. Eine rechte Amazone!
    Klärchen .
    Eine majestätische Frau! Ich scheute mich, vor sie zu treten.
    Egmont .
    Du bist doch sonst nicht zaghaft – Es wäre auch nicht Furcht, nur jungfräuliche Scham.
    (Klärchen schlägt die Augen nieder, nimmt seine Hand und lehnt sich an ihn.)
    Egmont .
    Ich verstehe dich! Liebes Mädchen! Du darfst die Augen aufschlagen. (Er küsst ihre Augen.)
    Klärchen .
    Lass mich schweigen! Lass mich dich halten. Lass mich dir in die Augen sehen; alles drin finden, Trost und Hoffnung und Freude und Kummer. (Sie umarmt ihn und sieht ihn an.) Sag’ mir! Sage! Ich begreife nicht! Bist du Egmont? Der Graf Egmont? Der große Egmont, der so viel Aufsehn macht, von dem in den Zeitungen steht, an dem die Provinzen hängen?
    Egmont .
    Nein, Klärchen, das bin ich nicht.
    Klärchen .
    Wie?
    Egmont .
    Siehst du, Klärchen! – Lass mich sitzen! – (Er setzt sich, sie kniet vor ihn auf einen Schemel, legt ihr Arme auf seinen Schoß und sieht ihn an.) Jener Egmont ist ein verdrießlicher, steifer, kalter Egmont, der an sich halten, bald dieses, bald jenes Gesicht machen muss, geplagt, verkannt, verwickelt ist, wenn ihn die Leute für froh und fröhlich halten; geliebt von einem Volke, das nicht weiß, was es will; geehrt und in die Höhe getragen von einer Menge, mit der nichts anzufangen ist; umgeben von Freunden, denen er sich nicht überlassen darf; beobachtet von Menschen, die ihm auf alle Weise beikommen möchten; arbeitend und sich bemühend, oft ohne Zweck, meist ohne Lohn – o lass mich schweigen, wie es dem ergeht, wie es dem zumute ist. Aber dieser, Klärchen, der ist ruhig, offen, glücklich, geliebt und gekannt von dem besten Herzen, das auch er ganz kennt und mit voller Liebe und Zutrauen an das seine drückt. (Er umarmt sie.)

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