Sämtliche Werke
wer’s hergebracht hat, dass jeden Tag das Schicksal von Tausenden in seiner Hand liegt, steigt vom Throne wie ins Grab. Aber besser so, als einem Gespenste gleich unter den Lebenden bleiben und mit hohlem Ansehn einen Platz behaupten wollen, den ihm ein anderer abgeerbt hat und nun besitzt und genießt.
(Klärchens Wohnung.)
Klärchen . Mutter
Mutter .
So eine Liebe wie Brackenburgs hab’ ich nie gesehen; ich glaubte, sie sei nur in Heldengeschichten.
Klärchen (geht in der Stube auf und ab, ein Lied zwischen den Lippen summend) .
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Mutter .
Er vermutet deinen Umgang mit Egmont; und ich glaube, wenn du ihm ein wenig freundlich tätest, wenn du wolltest, er heiratete dich noch.
Klärchen (singt) .
Freudvoll
Und leidvoll,
Gedankenvoll sein,
Langen
Und bangen
In schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrübt,
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Mutter .
Lass das Heiopopeia.
Klärchen .
Scheltet mir’s nicht; es ist ein kräftig Lied. Hab’ ich doch schon manchmal ein großes Kind damit schlafen gewiegt.
Mutter .
Du hast doch nichts im Kopfe als deine Liebe. Vergäßest du nur nicht alles über das eine. Den Brackenburg solltest du in Ehren halten, sag’ ich dir. Er kann dich noch einmal glücklich machen.
Klärchen .
Er?
Mutter .
O ja! Es kommt eine Zeit! – Ihr Kinder seht nichts voraus und überhorcht unsre Erfahrungen. Die Jugend und die schöne Liebe, alles hat sein Ende; und es kommt eine Zeit, wo man Gott dankt, wenn man irgendwo unterkriechen kann.
Klärchen (schaudert, schweigt und fährt auf) .
Mutter, lasst die Zeit kommen wie den Tod. Dran vorzudenken ist schreckhaft! – Und wenn er kommt! Wenn wir müssen – dann – wollen wir uns gebärden, wie wir können! – Egmont, ich dich entbehren! – (In Tränen.) Nein, es ist nicht möglich, nicht möglich.
Egmont in einem Reitermantel, den Hut ins Gesicht gedrückt.
Egmont .
Klärchen!
Klärchen (tut einen Schrei, fährt zurück) .
Egmont! (Sie eilt auf ihn zu.) Egmont! (Sie umarmt ihn und ruht an ihm.) O du Guter, Lieber, Süßer! Kommst du? bist du da!
Egmont .
Guten Abend, Mutter!
Mutter .
Gott grüß’ Euch, edler Herr! Meine Kleine ist fast vergangen, dass Ihr so lang’ ausbleibt; sie hat wieder den ganzen Tag von Euch geredet und gesungen.
Egmont .
Ihr gebt mir doch ein Nachtessen?
Mutter .
Zu viel Gnade. Wenn wir nur etwas hätten.
Klärchen .
Freilich! Seid nur ruhig, Mutter; ich habe schon alles darauf eingerichtet, ich habe etwas zubereitet. Verratet mich nicht, Mutter.
Mutter .
Schmal genug.
Klärchen .
Wartet nur! Und dann denk ich: Wenn er bei mir ist, hab’ ich gar keinen Hunger; da sollte er auch keinen großen Appetit haben, wenn ich bei ihm bin.
Egmont .
Meinst du?
(Klärchen stampft mit dem Fuße und kehrt sich unwillig um.)
Egmont .
Wie ist dir?
Klärchen .
Wie seid Ihr heute so kalt! Ihr habt mir noch keinen Kuss angeboten. Warum habt Ihr die Arme in den Mantel gewickelt wie ein Wochenkind? Ziemt keinem Soldaten noch Liebhaber, die Arme eingewickelt zu haben.
Egmont .
Zu Zeiten, Liebchen, zu Zeiten. Wenn der Soldat auf der Lauer steht und dem Feinde etwas ablisten möchte, da nimmt er sich zusammen, fasst sich selbst in seine Arme und kaut seinen Anschlag reif. Und ein Liebhaber –
Mutter .
Wollt Ihr Euch nicht setzen? Es Euch nicht bequem machen? Ich muss in die Küche; Klärchen denkt an nichts, wenn Ihr da seid. Ihr müsst fürlieb nehmen.
Egmont .
Euer guter Wille ist die beste Würze. (Mutter ab.)
Klärchen .
Und was wäre denn meine Liebe?
Egmont .
Soviel du willst.
Klärchen .
Vergleicht sie, wenn Ihr das Herz habt.
Egmont .
Zuvörderst also. (Er wirft den Mantel ab und steht in einem prächtigen Kleide da.)
Klärchen .
O je!
Egmont .
Nun hab’ ich die Arme frei. (Er herzt sie.)
Klärchen .
Lasst! Ihr verderbt Euch. (Sie tritt zurück.) Wie prächtig! Da darf ich Euch nicht anrühren.
Egmont .
Bist du zufrieden? Ich versprach dir, einmal spanisch zu kommen.
Klärchen .
Ich bat Euch zeither nicht mehr drum; ich dachte, Ihr wolltet nicht. – Ach und das goldne Vlies!
Egmont .
Da siehst du’s nun.
Klärchen .
Das hat dir der Kaiser umgehängt?
Egmont .
Ja, mein Kind! Und Kette und Zeichen geben dem, der sie trägt, die edelsten Freiheiten. Ich erkenne auf Erden keinen Richter über meine Handlungen als den Großmeister des Ordens mit dem versammelten Kapitel der
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