Sämtliche Werke
verteidigst, da die zugrunde gehen, für deren Freiheit du die Waffen ergriffst. Und wie wird dir’s sein, wenn du dir still sagen musst: Für meine Sicherheit ergriff ich sie.
Oranien .
Wir sind nicht einzelne Menschen, Egmont. Ziemt es sich, uns für Tausende hinzugeben, so ziemt es sich auch, uns für Tausende zu schonen.
Egmont .
Wer sich schont, muss sich selbst verdächtig werden.
Oranien .
Wer sich kennt, kann sicher vor- und rückwärts gehen.
Egmont .
Das Übel, das du fürchtest, wird gewiss durch deine Tat.
Oranien .
Es ist klug und kühn, dem unvermeidlichen Übel entgegen zu gehn.
Egmont .
Bei so großer Gefahr kommt die leichteste Hoffnung in Anschlag.
Oranien .
Wir haben nicht für den leisesten Fußtritt Platz mehr; der Abgrund liegt hart vor uns.
Egmont .
Ist des Königs Gunst ein so schmaler Grund?
Oranien .
So schmal nicht, aber schlüpfrig.
Egmont .
Bei Gott, man tut ihm Unrecht. Ich mag nicht leiden, dass man unwürdig von ihm denkt! Er ist Karls Sohn und keiner Niedrigkeit fähig.
Oranien .
Die Könige tun nichts Niedriges.
Egmont .
Man sollte ihn kennen lernen.
Oranien .
Eben diese Kenntnis rät uns, eine gefährliche Probe nicht abzuwarten.
Egmont .
Keine Probe ist gefährlich, zu der man Mut hat.
Oranien .
Du wirst aufgebracht, Egmont.
Egmont .
Ich muss mit meinen Augen sehen.
Oranien .
O sähst du diesmal nur mit den meinigen! Freund, weil du sie offen hast, glaubst du, du siehst. Ich gehe! Warte du Albas Ankunft ab, und Gott sei bei dir! Vielleicht rettet dich mein Weigern. Vielleicht, dass der Drache nichts zu fangen glaubt, wenn er uns nicht beide auf einmal verschlingt. Vielleicht zögert er, um seinen Anschlag sicherer auszuführen; und vielleicht siehest du indes die Sache in ihrer wahren Gestalt. Aber dann schnell! Schnell! Rette! Rette dich! – Leb’ wohl! – Lass deiner Aufmerksamkeit nichts entgehen: Wie viel Mannschaft er mitbringt, wie er die Stadt besetzt, was für Macht die Regentin behält, wie deine Freunde gefasst sind. Gib mir Nachricht – – – Egmont! –
Egmont .
Was willst du?
Oranien (ihn bei der Hand fassend) .
Lass dich überreden! Geh mit!
Egmont .
Wie? Tränen, Oranien?
Oranien .
Einen Verlornen zu beweinen, ist auch männlich.
Egmont .
Du wähnst mich verloren?
Oranien .
Du bist’s. Bedenke! Dir bleibt nur eine kurze Frist. Leb’ wohl! (Ab.)
Egmont (allein) .
Dass andrer Menschen Gedanken solchen Einfluss auf uns haben! Mir wär’ es nie eingekommen, und dieser Mann trägt seine Sorglichkeit in mich herüber. – Weg! – Das ist ein fremder Tropfen in meinem Blute. Gute Natur, wirf ihn wieder heraus! Und von meiner Stirne die sinnenden Runzeln wegzubaden, gibt es ja wohl noch ein freundlich Mittel.
*
Dritter Aufzug
(Palast der Regentin.)
Margarete von Parma .
Ich hätte mir’s vermuten sollen. Ha! Wenn man in Mühe und Arbeit vor sich hinlebt, denkt man immer, man tue das möglichste; und der von weitem zusieht und befiehlt, glaubt, er verlange nur das mögliche. – O die Könige! – Ich hätte nicht geglaubt, dass es mich so verdrießen könnte. Es ist so schön zu herrschen! – Und abzudanken? – Ich weiß nicht, wie mein Vater es konnte; aber ich will es auch.
Machiavell erscheint im Grunde.
Regentin .
Tretet näher, Machiavell. Ich denke hier über den Brief meines Bruders.
Machiavell .
Ich darf wissen, was er enthält?
Regentin .
So viel zärtliche Aufmerksamkeit für mich als Sorgfalt für seine Staaten. Er rühmt die Standhaftigkeit, den Fleiß und die Treue, womit ich bisher für die Rechte seiner Majestät in diesen Landen gewacht habe. Er bedauert mich, dass mir das unbändige Volk so viel zu schaffen mache. Er ist von der Tiefe meiner Einsichten so vollkommen überzeugt, mit der Klugheit meines Betragens so außerordentlich zufrieden, dass ich fast sagen muss: Der Brief ist für einen König zu schön geschrieben, für einen Bruder gewiss.
Machiavell .
Es ist nicht das erste Mal, dass er Euch seine gerechte Zufriedenheit bezeigt.
Regentin .
Aber das erste Mal, dass es rednerische Figur ist.
Machiavell .
Ich versteh’ Euch nicht.
Regentin .
Ihr werdet. – Denn er meint, nach diesem Eingange: Ohne Mannschaft, ohne eine kleine Armee werde ich immer hier eine üble Figur spielen! Wir hätten, sagt er, unrecht getan, auf die Klagen der Einwohner unsre Soldaten aus den Provinzen zu ziehen. Eine Besatzung, meint er, die dem Bürger auf dem Nacken lastet, verbiete ihm
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