Sämtliche Werke
niemand leugnen, daß diese spanischen Gemälde das ungeschwächteste Christentum atmen und ihre Schöpfer gewiß nicht minder glaubenstrunken waren als die berühmten Meister, die in Rom zum Katholizismus übergegangen sind, um mit unmittelbarer Inbrunst malen zu können. Nicht die äußere Dürre und Blässe ist ein Kennzeichen des wahrhaft Christlichen in der Kunst, sondern eine gewisse innere Überschwenglichkeit, die weder angetauft noch anstudiert werden kann, in der Musik wie in der Malerei, und so finde ich auch das »Stabat« von Rossini wahrhaft christlicher als den »Paulus«, das Oratorium von Felix Mendelssohn-Bartholdy, das von den Gegnern Rossinis als ein Muster der Christentümlichkeit gerühmt wird.
Der Himmel bewahre mich, gegen einen so verdienstvollen Meister wie der Verfasser des »Paulus« hierdurch einen Tadel aussprechen zu wollen, und am allerwenigsten wird es dem Schreiber dieser Blätter in den Sinn kommen, an der Christlichkeit des erwähnten Oratoriums zu mäkeln, weil Felix Mendelssohn-Bartholdy von Geburt ein Jude ist. Aber ich kann doch nicht unterlassen, darauf hinzudeuten, daß in dem Alter, wo Herr Mendelssohn in Berlin das Christentum anfing (er wurde nämlich erst in seinem dreizehnten Jahr getauft), Rossini es bereits verlassen und sich ganz in die Weltlichkeit der Opernmusik gestürzt hatte. Jetzt, wo er diese wieder verließ und sich zurückträumte in seine katholischen Jugenderinnerungen, in die Zeiten, wo er im Dom zu Pesaro als Chorschüler mitsang oder als Akoluth bei der Messe fungierte – jetzt, wo die alten Orgeltöne wieder in seinem Gedächtnis aufrauschten und er die Feder ergriff, um ein »Stabat« zu schreiben: da brauchte er wahrlich den Geist des Christentums nicht erst wissenschaftlich zu konstruieren, noch viel weniger Händel oder Sebastian Bach sklavisch zu kopieren; er brauchte nur die frühesten Kindheitsklänge wieder aus seinem Gemüt hervorzurufen, und, wunderbar! so ernsthaft, so schmerzentief auch diese Klänge ertönen, so gewaltig sie auch das Gewaltigste ausseufzen und ausbluten, so behielten sie doch etwas Kindheitliches und mahnten mich an die Darstellung der Passion durch Kinder, die ich in Cette gesehen. Ja, an diese kleine fromme Mummerei mußte ich unwillkürlich denken, als ich der Aufführung des »Stabat« von Rossini zum erstenmal beiwohnte: das ungeheure erhabene Martyrium ward hier dargestellt, aber in den naivsten Jugendlauten, die furchtbaren Klagen der Mater dolorosa ertönten, aber wie aus unschuldig kleiner Mädchenkehle, neben den Flören der schwärzesten Trauer rauschten die Flügel aller Amoretten der Anmut, die Schrecknisse des Kreuztodes waren gemildert wie von tändelndem Schäferspiel, und das Gefühl der Unendlichkeit umwogte und umschloß das Ganze wie der blaue Himmel, der auf die Prozession von Cette herableuchtete, wie das blaue Meer, an dessen Ufer sie singend und klingend dahinzog! Das ist die ewige Holdseligkeit des Rossini, seine unverwüstliche Milde, die kein Impresario und kein Marchand de musique zugrunde ärgern konnte oder auch nur zu trüben vermochte! Wie schnöde, wie abgefeimt tückisch ihm auch oftmals mitgespielt wurde im Leben, so finden wir doch in seinen musikalischen Produkten nicht eine Spur von Galle. Gleich jener Quelle Arethusa, die ihre ursprüngliche Süßigkeit bewahrte, obgleich sie die bittern Gewässer des Meers durchzogen, so behielt auch das Herz Rossinis seine melodische Lieblichkeit und Süße, obgleich es aus allen Wermutskelchen dieser Welt hinlänglich gekostet.
Wie gesagt, das »Stabat« des großen Maestro war dieses Jahr die vorherrschende musikalische Begebenheit. Über die erste tonangebende Exekution brauche ich nichts zu melden; genug, die Italiener sangen. Der Saal der Italienischen Oper schien der Vorhof des Himmels; dort schluchzten heilige Nachtigallen und flossen die fashionabelsten Tränen. Auch die »France musicale« gab in ihren Konzerten den größten Teil des »Stabat«, und, wie sich von selbst versteht, mit ungeheurem Beifall. In diesen Konzerten hörten wir auch den »Paulus« des Herrn Felix Mendelssohn-Bartholdy, der durch diese Nachbarschaft eben unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nahm und die Vergleichung mit Rossini von selber hervorrief. Bei dem großen Publikum gereichte diese Vergleichung keineswegs zum Vorteil unseres jungen Landsmanns: es ist auch, als vergliche man die Apenninen Italiens mit dem Templower Berg bei Berlin. Aber der Templower Berg hat
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