Sämtliche Werke
Stamm der Kananiter,
Und alsbald ergriff er zornig
Seinen Speer und hat den Simri
Auf der Stelle totgestochen –
Also heißt es in der Bibel.
Aber mündlich überliefert
Hat im Volke sich die Sage,
Daß es nicht der Simri war,
Den des Pinhas Speer getroffen,
Sondern daß der Blinderzürnte,
Statt des Sünders, unversehens
Einen ganz Unschuld’gen traf,
Den Schlemihl ben Zuri Schadday.« –
Dieser nun, Schlemihl I.,
Ist der Ahnherr des Geschlechtes
Derer von Schlemihl. Wir stammen
Von Schlemihl ben Zuri Schadday.
Freilich keine Heldentaten
Meldet man von ihm, wir kennen
Nur den Namen und wir wissen,
Daß er ein Schlemihl gewesen.
Doch geschätzet wird ein Stammbaum
Nicht ob seinen guten Früchten,
Sondern nur ob seinem Alter –
Drei Jahrtausend’ zählt der unsre!
Jahre kommen und vergehen –
Drei Jahrtausende verflossen,
Seit gestorben unser Ahnherr,
Herr Schlemihl ben Zuri Schadday.
Längst ist auch der Pinhas tot –
Doch sein Speer hat sich erhalten,
Und wir hören ihn beständig
Über unsre Häupter schwirren.
Und die besten Herzen trifft er –
Wie Jehuda ben Halevy,
Traf er Moses Iben Esra,
Und er traf auch den Gabirol –
Den Gabirol, diesen treuen
Gottgeweihten Minnesänger,
Diese fromme Nachtigall,
Deren Rose Gott gewesen –
Diese Nachtigall, die zärtlich
Ihre Liebeslieder sang
In der Dunkelheit der gotisch
Mittelalterlichen Nacht!
Unerschrocken, unbekümmert
Ob den Fratzen und Gespenstern,
Ob dem Wust von Tod und Wahnsinn,
Die gespukt in jener Nacht –
Sie, die Nachtigall, sie dachte
Nur an ihren göttlich Liebsten
Dem sie ihre Liebe schluchzte,
Den ihr Lobgesang verherrlicht! –
Dreißig Lenze sah Gabirol
Hier auf Erden, aber Fama
Ausposaunte seines Namens
Herrlichkeit durch alle Lande.
Zu Corduba, wo er wohnte,
War ein Mohr sein nächster Nachbar,
Welcher gleichfalls Verse machte
Und des Dichters Ruhm beneidet’.
Hörte er den Dichter singen,
Schwoll dem Mohren gleich die Galle,
Und der Lieder Süße wurde
Bittrer Wermut für den Neidhart.
Er verlockte den Verhaßten
Nächtlich in sein Haus, erschlug ihn
Dorten und vergrub den Leichnam
Hinterm Hause in dem Garten.
Aber siehe! aus dem Boden,
Wo die Leiche eingescharrt war,
Wuchs hervor ein Feigenbaum
Von der wunderbarsten Schönheit.
Seine Frucht war seltsam länglich
Und von seltsam würz’ger Süße;
Wer davon genoß, versank
In ein träumerisch Entzücken.
In dem Volke ging darüber
Viel Gerede und Gemunkel,
Das am End’ zu den erlauchten
Ohren des Kalifen kam.
Dieser prüfte eigenzüngig
Jenes Feigenphänomen,
Und ernannte eine strenge
Untersuchungskommission.
Man verfuhr summarisch. Sechzig
Bambushiebe auf die Sohlen
Gab man gleich dem Herrn des Baumes,
Welcher eingestand die Untat.
Darauf riß man auch den Baum
Mit den Wurzeln aus dem Boden,
Und zum Vorschein kam die Leiche
Des erschlagenen Gabirol.
Diese ward mit Pomp bestattet
Und betrauert von den Brüdern;
An demselben Tage henkte
Man den Mohren zu Corduba.
Fragment
Disputation
In der Aula zu Toledo
Klingen schmetternd die Fanfaren;
Zu dem geistlichen Turnei
Wallt das Volk in bunten Scharen.
Das ist nicht ein weltlich Stechen,
Keine Eisenwaffe blitzet –
Eine Lanze ist das Wort,
Das scholastisch scharf gespitzet.
Nicht galante Paladins
Fechten hier, nicht Damendiener –
Dieses Kampfes Ritter sind
Kapuziner und Rabbiner.
Statt des Helmes tragen sie
Schabbesdeckel und Kapuzen;
Skapulier und Arbekanfeß
Sind der Harnisch, drob sie trutzen.
Welches ist der wahre Gott?
Ist es der Hebräer starrer
Großer Eingott, dessen Kämpe
Rabbi Juda, der Navarrer?
Oder ist es der dreifalt’ge
Liebegott der Christianer,
Dessen Kämpe Frater Jose,
Gardian der Franziskaner?
Durch die Macht der Argumente,
Durch der Logik Kettenschlüsse
Und Zitate von Autoren,
Die man anerkennen müsse,
Will ein jeder Kämpe seinen
Gegner ad absurdum führen
Und die wahre Göttlichkeit
Seines Gottes demonstrieren.
Festgestellt ist: daß derjen’ge,
Der im Streit ward überwunden,
Seines Gegners Religion
Anzunehmen sei verbunden,
Daß der Jude sich der Taufe
Heil’gem Sakramente füge,
Und im Gegenteil der Christ
Der Beschneidung unterliege.
Jedem von den beiden Kämpen
Beigesellt sind elf Genossen,
Die zu teilen sein Geschick
Sind in Freud und Leid entschlossen.
Glaubenssicher sind die Mönche
Von des Gardians Geleitschaft,
Halten schon Weihwasserkübel
Für die Taufe in
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