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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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    Lächelnd würd ich ihnen sagen:
    Das ist nur die rohe Schale,
    Die den bessern Schatz verschließet –
    Hier in diesem Kästchen liegen
    Diamanten, deren Lichter
    Abglanz, Widerschein des Himmels,
    Herzblutglühende Rubinen,
    Fleckenlose Turkoasen,
    Auch Smaragde der Verheißung,
    Perlen, reiner noch als jene,
    Die der Königin Atossa
    Einst geschenkt der falschen Smerdis,
    Und die späterhin geschmücket
    Alle Notabilitäten
    Dieser mondumkreisten Erde,
    Thais und Kleopatra,
    Isispriester, Mohrenfürsten,
    Auch Hispaniens Königinnen.
    Und zuletzt die hochverehrte
    Frau Baronin Salomon –
    Diese weltberühmten Perlen,
    Sie sind nur der bleiche Schleim
    Eines armen Austertiers,
    Das im Meergrund blöde kränkelt:
    Doch die Perlen hier im Kästchen
    Sind entquollen einer schönen
    Menschenseele, die noch tiefer,
    Abgrundtiefer als das Weltmeer –
    Denn es sind die Tränenperlen
    Des Jehuda ben Halevy,
    Die er ob dem Untergang
    Von Jerusalem geweinet –
    Perlentränen, die, verbunden
    Durch des Reimes goldnen Faden,
    Aus der Dichtkunst güldnen Schmiede
    Als ein Lied hervorgegangen.
    Dieses Perlentränenlied
    Ist die vielberühmte Klage,
    Die gesungen wird in allen
    Weltzerstreuten Zelten Jakobs
    An dem neunten Tag des Monats,
    Der geheißen Ab, dem Jahrstag
    Von Jerusalems Zerstörung
    Durch den Titus Vespasianus.
    Ja, das ist das Zionslied,
    Das Jehuda ben Halevy
    Sterbend auf den heil’gen Trümmern
    Von Jerusalem gesungen –
    Barfuß und im Büßerkittel
    Saß er dorten auf dem Bruchstück
    Einer umgestürzten Säule; –
    Bis zur Brust herunter fiel
    Wie ein greiser Wald sein Haupthaar,
    Abenteuerlich beschattend
    Das bekümmert bleiche Antlitz
    Mit den geisterhaften Augen –
    Also saß er und er sang,
    Wie ein Seher aus der Vorzeit
    Anzuschaun – dem Grab entstiegen
    Schien Jeremias, der Alte –
    Das Gevögel der Ruinen
    Zähmte schier der wilde Schmerzlaut
    Des Gesanges, und die Geier
    Nahten horchend, fast mitleidig –
    Doch ein frecher Sarazene
    Kam desselben Wegs geritten,
    Hoch zu Roß, im Bug sich wiegend
    Und die blanke Lanze schwingend –
    In die Brust des armen Sängers
    Stieß er diesen Todesspeer,
    Und er jagte rasch von dannen,
    Wie ein Schattenbild beflügelt.
    Ruhig floß das Blut des Rabbi,
    Ruhig seinen Sang zu Ende
    Sang er, und sein sterbeletzter
    Seufzer war Jerusalem! – –
    Eine alte Sage meldet,
    Jener Sarazene sei
    Gar kein böser Mensch gewesen,
    Sondern ein verkappter Engel,
    Der vom Himmel ward gesendet,
    Gottes Liebling zu entrücken
    Dieser Erde und zu fördern
    Ohne Qual ins Reich der Sel’gen.
    Droben, heißt es, harrte seiner
    Ein Empfang, der schmeichelhaft
    Ganz besonders für den Dichter,
    Eine himmlische Surprise.
    Festlich kam das Chor der Engel
    Ihm entgegen mit Musik,
    Und als Hymne grüßten ihn
    Seine eignen Verse, jenes
    Synagogenhochzeitkarmen,
    Jene Sabbathymenäen,
    Mit den jauchzend wohlbekannten
    Melodien – welche Töne!
    Englein bliesen auf Hoboen,
    Englein spielten Violine,
    Andre strichen auch die Bratsche
    Oder schlugen Pauk’ und Zimbel.
    Und das sang und klang so lieblich,
    Und so lieblich in den weiten
    Himmelsräumen widerhallt es:
    »Lecho Daudi Likras Kalle.«
    4.
    Meine Frau ist nicht zufrieden
    Mit dem vorigen Kapitel,
    Ganz besonders in bezug
    Auf das Kästchen des Darius.
    Fast mit Bitterkeit bemerkt sie:
    Daß ein Ehemann, der wahrhaft
    Religiöse sei, das Kästchen
    Gleich zu Gelde machen würde,
    Um damit für seine arme
    Legitime Ehegattin
    Einen Kaschemir zu kaufen,
    Dessen sie so sehr bedürfe.
    Der Jehuda ben Halevy,
    Meinte sie, der sei hinlänglich
    Ehrenvoll bewahrt in einem
    Schönen Futteral von Pappe
    Mit chinesisch eleganten
    Arabesken, wie die hübschen
    Bonbonnieren von Marquis
    Im Passage-Panorama.
    »Sonderbar!« – setzt sie hinzu –
    »Daß ich niemals nennen hörte
    Diesen großen Dichternamen,
    Den Jehuda ben Halevy.«
    Liebstes Kind, gab ich zur Antwort,
    Solche holde Ignoranz,
    Sie bekundet die Lakunen
    Der französischen Erziehung,
    Der Pariser Pensionate,
    Wo die Mädchen, diese künft’gen
    Mütter eines freien Volkes,
    Ihren Unterricht genießen –
    Alte Mumien, ausgestopfte
    Pharaonen von Ägypten,
    Merowinger Schattenkön’ge,
    Ungepuderte Perücken,
    Auch die Zopfmonarchen Chinas,
    Porzellanpagodenkaiser –
    Alle lernen sie auswendig,
    Kluge Mädchen, aber Himmel –
    Fragt man sie nach großen Namen
    Aus dem großen Goldzeitalter
    Der arabisch-althispanisch
    Jüdischen Poetenschule,
    Fragt man

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