Sämtliche Werke
Kollegen.
Ja, nur auf dem Felde der Idee hätte die Opposition, wo nicht sich behaupten, doch wenigstens glänzen können. Bei solcher Gelegenheit hätte eine deutsche Opposition ihre gelehrtesten Lorbeeren erfochten. Denn die Gefängnisfrage ist ja enthalten in jener allgemeinen Frage über die Bedeutung der Strafe überhaupt, und hier treten uns die großen Theorien entgegen, die wir heute nur in flüchtigster Kürze erwähnen wollen, um für die Würdigung des neuen Gefängnisgesetzes einen deutschen Standpunkt zu gewinnen.
Wir sehen hier zunächst die sogenannte Vergeltungstheorie, das alte harte Gesetz der Urzeit, jenes jus talionis, das wir noch bei dem alttestamentalischen Moses in schauerlichster Naivetät vorfinden: Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Mit dem Martyrtode des großen Versöhners fand auch diese Idee der Sühne ihren Abschluß, und wir können behaupten, der milde Christus habe dem antiken Gesetze auch hier persönlich Genüge getan und dasselbe auch für die übrige Menschheit aufgehoben. Sonderbar! während hier die Religion im Fortschritt erscheint, ist es die Philosophie, welche stationär geblieben, und die Strafrechtstheorie unserer Philosophen von Kant bis auf Hegel ist trotz aller Verschiedenheit des Ausdrucks noch immer das alte jus talionis. Selbst unser Hegel wußte nichts Besseres anzugeben, und er vermochte nur die rohe Anschauungsweise einigermaßen zu spiritualisieren, ja bis zur Poesie zu erheben. Bei ihm ist die Strafe
das Recht des
Verbrechers
; nämlich indem dieser das Verbrechen begeht, gewinnt er ein unveräußerliches Recht auf die adäquate Bestrafung; letztere ist gleichsam das objektive Verbrechen. Das Prinzip der Sühne ist hier bei Hegel ganz dasselbe wie bei Moses, nur daß dieser den antiken Begriff der Fatalität in der Brust trug, Hegel aber immer von dem modernen Begriff der Freiheit bewegt wird: sein Verbrecher ist ein freier Mensch, das Verbrechen selbst ist ein Akt der Freiheit, und es muß ihm dafür sein Recht geschehen. Hierüber nur ein Wort. Wir sind dem altsazerdotalen Standpunkt entwachsen, und es widerstrebt uns, zu glauben, daß, wenn der einzelne eine Untat begangen, die Gesellschaft in corpore gezwungen sei, dieselbe Untat zu begehen, sie feierlich zu wiederholen. Für den modernen Standpunkt, wie wir ihn bei Hegel finden, ist jedoch unser sozialer Zustand noch zu niedrig; denn Hegel setzt immer eine absolute Freiheit voraus, von der wir noch sehr entfernt sind und vielleicht noch eine gute Weile entfernt bleiben werden.
Unsere zweite große Straftheorie ist die der Abschreckung. Diese ist weder religiös noch philosophisch, sie ist rein absurd. Hier wird einem Menschen, der ein Verbrechen beging, Pein angetan, damit ein Dritter dadurch abgeschreckt werde, ein ähnliches Verbrechen zu begehen. Es ist das höchste Unrecht, daß jemand leiden soll zum Heile eines andern, und diese Theorie mahnte mich immer an die armen souffre-douleurs, die ehemals mit den kleinen Prinzen erzogen wurden und jedesmal durchgepeitscht wurden, wenn ihr erlauchter Kamerad irgendeinen Fehler begangen. Diese nüchterne und frivole Abschreckungstheorie borgt von der sazerdotalen Theorie gleichsam ihre pompes funèbres, auch sie errichtet auf öffentlichem Markt ein castrum doloris, um die Zuschauer anzulocken und zu verblüffen. Der Staat ist hier ein Scharlatan, nur mit dem Unterschied, daß der gewöhnliche Scharlatan dir versichert, er reiße die Zähne aus, ohne Schmerzen zu verursachen, während jener im Gegenteil durch seine schauerlichen Apparate mit weit größern Schmerzen droht, als vielleicht der arme Patient wirklich zu ertragen hat. Diese blutige Scharlatanerie hat mich immer angewidert.
Soll ich hier die sogenannte Theorie vom physischen Zwang, die zu meiner Zeit in Göttingen und in der umliegenden Gegend zum Vorschein gekommen, als eine besondere Theorie erwähnen? Nein, sie ist nichts als der alte Abschreckungssauerteig, neu umgeknetet. Ich habe mal einen ganzen Winter hindurch den Lykurg Hannovers, den traurigen Hofrat Bauer, darüber schwätzen gehört, in seiner seichtesten Prosa. Diese Tortur erduldete ich ebenfalls aus physischem Zwang, denn der Schwätzer war Examinator meiner Fakultät, und ich wollte damals Doctor juris werden.
Die dritte große Straftheorie ist die, wobei die moralische Verbesserung des Verbrechers in Betracht kommt. Die wahre Heimat dieser Theorie ist China, wo alle Autorität von der väterlichen Gewalt abgeleitet
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