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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Sonnenglanz und Waldgrün inniger bezaubert, und die großen Felsenkoppen, wie steinerne Riesenhäupter, sahen ihn an mit fabelhaftem Mitleid. Die Hautes Pyrénées sind wunderbar schön. Besonders seelenerquickend ist die Musik der Bergwasser, die wie ein volles Orchester in den rauschenden Talfluß, den sogenannten Gave, hinabstürzen. Gar lieblich ist dabei das Geklingel der Lämmerherden, zumal wenn sie in großer Anzahl wie jauchzend von den Bergeshalden heruntergesprungen kommen, voran die langwolligen Mutterschafe und dorisch gehörnten Widder, welche große Glocken an den Hälsen tragen, und nebenherlaufend der junge Hirt, der sie nach dem Taldorfe zur Schur führt und bei dieser Gelegenheit auch die Liebste besuchen will. Einige Tage später ist das Geklingel minder heiter, denn es hat unterdessen gewittert, aschgraue Nebelwolken hängen tief herab, und mit seinen geschornen, fröstelnd nackten Lämmern steigt der junge Hirt melancholisch wieder hinauf in seine Alpeneinsamkeit; er ist ganz eingewickelt in seinen braunen, reichgeflickten Baskesenmantel, und das Scheiden von ihr war vielleicht bitter.
    Ein solcher Anblick mahnt mich aufs lebhafteste an das Meisterwerk von Decamps, welches der diesjährige Salon besaß und das von so vielen, ja von dem kunstverständigsten Franzosen, Théophile Gautier, mit hartem Unrecht getadelt ward. Der Hirt auf jenem Gemälde, der in seiner zerlumpten Majestät wie ein wahrer Bettelkönig aussieht und an seiner Brust, unter den Fetzen des Mantels, ein armes Schäfchen vor dem Regenguß zu schützen sucht, die stumpfsinnig trüben Wetterwolken mit ihren feuchten Grimassen, der zottighäßliche Schäferhund – alles ist auf jenem Bilde so naturwahr, so pyrenäengetreu gemalt, so ganz ohne sentimentalen Anstrich und ohne süßliche Veridealisierung, daß einem hier das Talent des Decamps fast erschreckend, in seiner naivsten Nacktheit, offenbar wird.
    Die Pyrenäen werden jetzt von vielen französischen Malern mit großem Glück ausgebeutet, besonders wegen der hiesigen pittoresken Volkstrachten, und die Leistungen von Leleux, die unser feintreffender Pfeilkollege immer so schön gewürdigt, verdienen das gespendete Lob; auch bei diesem Maler ist Wahrheit der Natur, aber ohne ihre Bescheidenheit, sie tritt schier allzu keck hervor, und sie artet aus in Virtuosität. Die Kleidung der Bergbewohner, der Bearnaisen, der Basken und der Grenzspanier, ist in der Tat so eigentümlich und staffeleifähig, wie es ein junger Enthusiast von der Pinselgilde, der den banalen Frack verabscheut, nur irgend verlangen kann; besonders pittoresk ist die Kopfbedeckung der Weiber, die scharlachrote, bis an die Hüften über den schwarzen Leibrock herabhängende Kapuze. Einen überaus köstlichen Anblick gewähren derartig kostümierte Ziegenhirtinnen, wenn sie, auf hochgesattelten Maultieren sitzend, den altertümlichen Spinnstock unterm Arm, mit ihren gehörnten schwarzen Zöglingen über die äußersten Spitzen der Berge einherreiten und der abenteuerliche Zug sich in den reinsten Konturen abzeichnet an dem sonnigblauen Himmelsgrund.
    Das Gebäude, worin sich die Badeanstalt von Barèges befindet, bildet einen schauderhaften Kontrast mit den umgebenden Naturschönheiten, und sein mürrisches Äußere entspricht vollkommen den innern Räumen: unheimlich finstere Zellen, gleich Grabgewölben, mit gar zu schmalen steinernen Badewannen, einer Art provisorischer Särge, worin man alle Tage eine Stunde lang sich üben kann im Stilleliegen mit ausgestreckten Beinen und gekreuzten Armen, eine nützliche Vorübung für Lebensabiturienten. Das beklagenswerteste Gebrechen zu Barèges ist der Wassermangel; die Heilquellen strömen nämlich nicht in hinlänglicher Fülle. Eine traurige Abhülfe in dieser Beziehung gewähren die sogenannten Piszinen, ziemlich enge Wasserbehälter, worin sich ein Dutzend, auch wohl anderthalb Dutzend Menschen gleichzeitig baden, in aufrechter Stellung. Hier gibt es Berührungen, die selten angenehm sind, und bei dieser Gelegenheit begreift man in ihrem ganzen Tiefsinn die Worte des toleranten Ungars, der sich den Schnurrbart strich und zu seinem Kameraden sagte: »Mir ist ganz gleich, was der Mensch ist, ob er Christ oder Jude, republikanisch oder kaiserlich, Türke oder Preuße, wenn nur der Mensch gesund ist.«
II
    Barèges, 7. August 1846
    Über die therapeutische Bedeutung der hiesigen Bäder wage ich nicht, mich mit Bestimmtheit auszusprechen. Es läßt sich vielleicht

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